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Florian Berndl (1856-1934)

der Entdecker des Gänsehäufels und Gründer der Schrebergärten "Neu-Brasilien" in Wien

 

Herkunft und Jugend

Geburtsmatrikel Florian Berndl 1856

Florian Berndl wurde am 10. Mai 1856 in Großhaselbach im Waldviertel geboren. Seine Eltern waren Florian Berndl und Johanna geb. Elsiger. Florians Vater verdiente den Lebensunterhalt als Schneidermeister und Bauer. Seine Mutter arbeitete als Hebamme und Baderin. Gewohnt hat die Familie in Großhaselbach Nr. 48. Florian erlernte das Schneiderhandwerk, seine Mutter übermittelte ihm aber auch ihr Wissen über Kräuter. Seinen Militärdienst leistete er als Sanitäter ab. Danach ging er nach Wien und arbeitete als Pfleger im Allgemeinen Krankenhaus, wo er sich einiges an medizinischen Kenntnissen aneignete. Kurze Zeit verdiente er sein Geld auch als Hilfskellner im Hotel-Restaurant Sacher. Schließlich machte er sich als Masseur und Pedikeur selbständig. Florian Berndl war ein begeisterter Anhänger von Sebastian Kneipp und Vincenz Prießnitz. Er schrieb den Kaltwasserkuren eine heilende Wirkung bei allen möglichen Leiden zu und bot sie dementsprechend auch seinen Kunden an. Sebastian Kneipp lernte er sogar persönlich kennen und war mit ihm in Briefkontakt. 

Familiäres

Florian Berndl übersiedelte in Wien unzählige Male. 1891 wohnte er im 9. Bezirk, in der Van-Swietengasse 4, 1882 im 9. Bezirk, in der Garnisongasse 1. 1893 zog er in den 8. Bezirk, in die Wickenburggasse 19 und 1898 in die Laudongasse 32.

 

Florian Berndl war mit Katharina Bölderl (1855-1913) verheiratet. Die beiden hatten 2 Söhne:

  • Karl (1896-1965)
  • Alois (*1899)
Florian Berndl mit Familie am Gänsehäufel

Im Jahr 1900 pachtete Florian Berndl das Gänsehäufel und siedelte sich mit seiner Familie auch auf der bis dahin unbewohnten Insel an. Sie lebten in einer selbstgebauten Hütte, die aus Weidenästen zusammengeflochten war. Dazwischen war sie mit Gras, Blättern und ein wenig Draht verdichtet. An der Vorderseite diente eine Luke als Eingang. Darüber befand sich ein zeltartiges Vordach, das herabgeklappt werden konnte, um das Haus zu verschließen. Florian Berndl hauste auf seiner Insel nicht nur wie Robinson Crusoe, er sah auch wie ein Eingeborener einer einsamen Insel aus. Meist war er nur mit Badehose bekleidet. Seine dunkle Haut war von der Sonne gegerbt und er trug einen dichten schwarzen Bart und langes zottiges Haar. Von seinen Anhängern wurde er liebevoll "Vater Berndl" genannt. Dieser Spitzname blieb ihm bis zu seinem Tod erhalten.  

Florian Berndl mit seinen Söhnen am Gänsehäufel

Um vom Festland auf sein Domizil und retour zu kommen, schaffte Florian Berndl einige Boote an. Diese lagen bei der Insel vor Anker. Im Oktober 1900 fehlte plötzlich eines der Boote. Gegen Abend bemerkte er auf der Donau einen jungen Mann, der das gestohlene Boot ruderte. Kurzerhand verfolgte er den „Seeräuber“. Als er ihn einholte, versetzte er ihm einen derartigen Schlag, dass dieser ernsthaft verletzt wurde. Es kam zu einer Gerichtsverhandlung vor dem Strafrichter. Berndl musste sich wegen Körperverletzung verantworten. Über den Geschädigten wurde gleichzeitig wegen Diebstahls Gericht gehalten. Der Angeklagte konnte allerdings eine glaubwürdige Geschichte als Rechtfertigung vorbringen. Schließlich wurden beide freigesprochen. 

 

Katharina Berndl unterstützte ihren Ehemann bei seinen Plänen und arbeitete am Gänsehäufel tatkräftig mit.  Nach der Übernahme der Insel durch die Gemeinde Wien, kauften sie am Bisamberg Grund und Boden und wohnten zeitweise auch dort. Wieder lebten sie in einfachsten Verhältnissen. Dann bot man ihm den Job des Bademeisters am Gänsehäufel an und er ging wieder zurück. Gewohnt haben sie in der Zeit, zumindest in den Wintermonaten, im 2. Bezirk, in der Ennsgasse 22. 

Unfall Katharina Berndl 1910

Im April 1910 wurde der 11jährige Alois Berndl zum Lebensretter seiner Mutter. Katharina Berndl setzte an der „Alten Donau“ mit einer Zille auf das Gänsehäufel über. Beim Hantieren mit einem Brett, das sich im Boot befand, verlor sie das Gleichgewicht und fiel rücklings ins tiefe, eiskalte Wasser. Dort verlor sie augenblicklich das Bewusstsein. Ihr Sohn Alois, der Augenzeuge des Geschehens wurde, handelte geistesgegenwärtig. Ohne zu zögern sprang er seiner Mutter hinterher, packte sie unter den Armen und zog sie unter Aufbietung all seiner Kräfte ans Ufer. Katharina erholte sich nach intensiver Pflege rasch wieder. Alois wurde für seine Heldentat von der niederösterreichischen Statthalterei belobigt und erhielt eine Prämie in der Höhe von 26 Kronen. Auch in der Schule wurde Alois‘ Heldentat entsprechend gewürdigt.

 

Als Florian Berndl am Gänsehäufel gekündigt wurde, verlor er auch sein Nutzungsrecht an der Hütte am Gänsehäufel. Die Gemeinde bewilligte ihm kurze Zeit später eine lebenslange Gnadengabe von jährlich 1.000 Kronen. Dafür sollte Berndl auf alle Ansprüche auf die geistige Urheberschaft der Idee zur Errichtung des Gänsehäufel verzichten. Berndl aber weigerte sich seine Hütte am Gänsehäufel aufzugeben. Daraufhin kam es zur Räumungsklage. 

 

Nach diesen Streitereien hatte Katharina Berndl genug von den Phantastereien ihres Mannes und verließ ihn mit den Kindern. Florian Berndl übersiedelte dann wieder auf den Bisamberg, wo er wie ein Einsiedler lebte. Katharina Berndl starb am 21.6.1913 im Alter von 58 Jahren im Schwarzwald. Die Kinder lebten danach bei Florians Bruder. 

 

Gänsehäufel

Florian Berndl liebte die Natur. Er wanderte gerne in der Gegend der „Alten Donau“ umher. Bei einem seiner Ausflüge stieß er dabei auf eine mit Weiden bewachsene, völlig unbesiedelte Insel. Die Bauern der Umgebung nutzten sie früher als Weideplatz für ihre Gänse. Das gab der Insel ihren Namen „Gänsehaufen“ („Haufen“ ist die Bezeichnung für eine angeschwemmte Insel). In der Verniedlichungsform wurde sie dann zum „Gänsehäufel“. Dort gab es auch einen weiten Sandstrand. Berndl dachte sofort an die Behandlung von Ischiaskranken mit Sandbädern.

Florian Berndl am Gänsehäufel

1900 pachtete er von der Donauregulierungskommission einen Teil des „Gänsehäufel“ um dort eine Edelweidenkultur einzurichten. Er siedelte sich dort sogar mit seiner Familie an, wo sie in einer kleinen Hütte wohnten. Allerdings nutzte er die Insel dann ganz anders als offiziell angegeben. Statt Weidenbäume zu pflanzen, stellte er einige primitive Hütten, eine Kegelbahn, Tische, Bänke und Turngeräte auf. Damit errichtete er ein Sonnen- und Sandbad. Als begeisterter Freund von FKK und Naturheilkunde war er quasi ein „Hippie“ seiner Zeit. Man nannte ihn auch „Robinson Cruso von Wien“ oder „Kolumbus des Gänsehäufel“. Bald scharte sich eine Gruppe begeisterter Sonnenanbeter um ihn, die ebenfalls ein Leben in der freien Natur genießen wollte. Es entstand die sogenannte „Berndl-Kolonie“. 

 

Damals galt in Wien auf der gesamten Donau Badeverbot. Deshalb musste sich Berndl auch vor Gericht verantworten. Er rettete sich mit einer Notlüge: „Herr Richter, die Leute baden nicht, sie waschen sich nur!“

Inserat Florian Berndl

Florian Berndls „Körperpflegeheim“ bestand aus der „Villa Berndl“, einem alten Tramwaywagen, ein paar kleinen Hütten als Garderobe und einer behelfsmäßigen Kantine. Die neugierigen Städter kamen in Scharen, um sich selbst ein Bild von der Insel und dem Sonderling Berndl zu machen. Dieser ließ sogar Ansichtskarten von seiner Robinson-Insel drucken und erwies sich auch sonst als cleverer Geschäftsmann. Gegen eine geringe Gebühr wurden alle zu „Insulanern“ und konnten in der Sonne liegen und baden solange sie wollten. Es gab sogar Aufbewahrungsmöglichkeiten für ihre Habseligkeiten. Gegen einen entsprechenden Aufpreis wurden sie von Berndl massiert, pedikürt oder mit Schlamm- und Sandbädern behandelt. Auch für das leibliche Wohl ihrer Gäste sorgte die Familie Berndl.

 

Der Badeort erfreute sich bald großer Beliebtheit. Der Weg zum Inselparadies war allerdings weit und beschwerlich. Meist unternahmen die Besucher einen langen Fußmarsch, der sie aus der Stadt hinausführte. Dann setzten sie mit einem kleinen Ruderboot zur Insel über. Es folgte ein langer Spaziergang über unwegsame Pfade durch Gestrüpp und Dickicht, bis sie schließlich ihr Ziel erreichten. Aber für den Aufwand wurden sie mit Sonne, Wind und Wasser belohnt. 

 

Florian Berndl pries seine Freiluft-, Sand- und Sonnenbäder auch zur Heilung rheumatischer Beschwerden an. Damit kam er in Konflikt mit den Ärzten, da seine Methoden von der Schulmedizin nicht anerkannt wurden. Dennoch waren seine Naturheilverfahren äußerst populär. Zu seinen Kunden zählten auch zahlreiche prominente Künstler, Intellektuelle und auch Gemeindepolitiker, wie z.B. Hermann Bahr, Karl Costenoble oder Max Burckhardt. Dennoch waren Berndls Anhänger bald als "Berndlnarren" verschrien. Obwohl es getrennte Badebereiche für Damen und Herren gab, nahm es Florian Berndl da nicht so genau. Hier konnten beide Geschlechter durchaus auch gemeinsam baden und er empfahl sogar das Nacktbaden. Das entsprach aber in keinster Weise dem damaligen Sittenbild. 

 

Immer öfter mischten sich Journalisten und selbsternannte Sittlichkeitswächter unter die Badegäste. Ihre Berichte sorgten in der konservativen Öffentlichkeit für Aufregung und umfangreichen Gesprächsstoff. Das wirkte zum einen als Werbung für Berndls Insel, andererseits wurde Florian Berndl damit aber auch angreifbar. Der exzentrische Naturmensch und Querdenker kümmerte sich nicht um Vorschriften und Gesetze. Für sein Strandparadies hatte er nie um behördliche Genehmigung angesucht und zahlte auch keine Steuern. Er hielt auch die gesellschaftlichen Regeln nicht ein. Man warf ihm vor, dass er und seine Anhänger gegen Sitte und Moral verstoßen würden. 1905 kündigte man ihm den Pachtvertrag auf. Seine Lebensreformkolonie auf dem Gänsehäufel wurde behördlich verboten. Offiziell war der Grund eine fehlende Kantinen-Konzession. Außerdem hätte er den Badebetrieb über die Grenzen seines Grundstückes hinaus ausgedehnt. 

 

Nach seiner „Vertreibung aus dem Paradies“ gab es ein richtiges „Griß“ um die Insel. Zahlreiche Personen, darunter auch Naturheilkundler aus dem In- und Ausland, bewarben sich um das Grundstück. Von mehreren Seiten wurde die Gemeinde Wien dazu gedrängt, dort doch ein städtisches Bad zu eröffnen. Die Gemeinde Wien pachtete dann tatsächlich die gesamte Insel und kaufte sie dann sogar. Am 5. August 1907 eröffnete schließlich das städtische Sommerfreibad „Gänsehäufel“

Mit dem neuen Betreiber des Bades hielt auch Moral und Anstand auf der Insel Einzug. Für die Gäste standen 3 streng voneinander getrennte Badeanlagen bereit. Es gab ein eigenes „Frauen-Bad“, ein „Herren-Bad“ und dazwischen lag das „Familien-Bad“. Um Zutritt zum „Familienbad“ zu bekommen, musste man als Paar bzw. Familie erscheinen. Ob das Paar verheiratet war, wurde allerdings nicht kontrolliert. Daher wurden viele Besucher bald erfinderisch. Viele Singles suchten sich kurzerhand einen „Partner“ für den Eintritt. Oft standen schon am Praterstern etliche „Suchende“, die unbedingt ins „gemischte Bad“ wollten.  Jugendlichen wurde nur bis zu einer Körpergröße von 1,30 Meter der Zutritt zum Familienbad gestattet. Da machte sich manch einer kleiner als er eigentlich war. Die Herren mussten im Familienbad einen Schwimmanzug tragen, um den sittlichen Ansprüchen gerecht zu werden. Viele Badende besaßen aber nur eine Badehose. Sie zogen dann kurzerhand ihr Jackett im Bad an.

 

Über das Gänsehäufel und die speziellen „Gänsehäufel-Paare“ kursierten zahlreiche Gedichte. Eines davon war dieses: 

Da draußen im Gänsehäufel, da hob’ ich den Sommer verbracht.

Dort brannte ich ab wie ein Teufel, wer hätte das jemals gedacht.

Es baden dort Männer und Frauen gemeinsam wie drunt in Grado,

welch herrliches Bild anzuschauen, die Damen im Badetrikot.

Auch ich lernte kennen ein Weibchen, Ihr Wuchs und Gesicht wunderschön.

Da bat ich das Zuckertäubchen, mit mir auf das Häufel zu geh’n.

Leise, ganz leise zogen wir uns aus. 

Kamen dann beide aufs Ufer raus,

entsetzt aber war ich, als ich sie sah, 

denn von der Holden war gar nichts da.

Drauf sagt’ ich flüsternd: Fräulein Sabine, 

hol'n Sie sich schnell aus Ihrer Kabine

all ihre Formen, ihre Figur, 

Sie sind ja die reinste Karikatur,

Sie sind ein wahres „Banerhäufel“, 

hol’ Sie der Teufel— vom Gänsehäufel.

 

Am Tage darauf wieder brannte die Sonne, es war nimmer schön,

da lud ich mir ein eine Tante, mit mir auf das Häufel zu geh’n.

Ein jeder Mann kannte die Tante, Sie war nämlich sehr populär.

Auch traf sie dort viele Bekannte, Ha! Servus, wie kommst du daher?

Sie hatte echt goldblonde Löckchen, geschminkt schien mir auch ihr Gesicht

Und unter den duftigen Röckchen verbarg sie ein Riesengewicht.

Leise, ganz leise, zogen wir uns aus,

kamen dann beide aufs Ufer ’raus,

entsetzt aber war ich, als ich sie sah

von meiner Tante war zuviel da.

Drauf sagte ich flüsternd: Tante Karline,

du musst zurück in deine Kabine,

dich lässt man nicht ins Wasser hinein,

sonst geht es über, das Bad ist zu klein. 

So hat man mit den Weibern sein G'frett,

die eine zu mager— die and’re zu fett.

 

Für 40 Heller konnte man einen Kleiderkasten zur Aufbewahrung seiner Habseligkeiten verwenden und ein Schirmdach im Sand, unter dem man sich umziehen konnte. Die Überfuhr auf und von der Insel waren im Preis inkludiert. Allerdings war damit nur ein Aufenthalt im Bad von max. 2 Stunden erlaubt. Wollte man länger bleiben, wurden weitere 30 Heller fällig. Gegen einen Aufpreis von 40 Heller standen elektrisch beleuchtete Umkleidekabinen oder bunt gestreifte Zelte zur Verfügung. Sogar Badewäsche wurde für 60 Heller bereitgestellt. Für weitere 60 Heller konnte man sich in Sand einpacken lassen. Obwohl das alles nicht gerade billig war, kamen die Besucher in Scharen. Oft wurden aber gar nicht alle Sonnenhungrige eingelassen. Die blaue Fahne zeigte an, dass das Bad bereits ausverkauft war. Dennoch harrten viele stundenlang in der prallen Sonne aus und warteten bis Gäste das Bad wieder verließen und neue Besucher eingelassen wurden. Die Badeanstalt war täglich von 6 Uhr morgens bis zum Eintritt der Dunkelheit geöffnet. 

 

Für das leibliche Wohl sorgte eine große Restauration. Der Pächter war verpflichtet auch alkoholfreie Getränke auszuschenken und den von der Gemeinde festgesetzten Speise- und Getränketarif einzuhalten. Manch einer erreichte den Strand wohl nie und wurde stattdessen Stammgast im Wirtshaus. 

 

Anfangs war die Badeanlage am Gänsehäufel für 666 Personen geplant. Jahr für Jahr wurde wegen des großen Andrangs erweitert und 1913 fasste das Bad bereits 7.200 Besucher. Nach dem 1. WK verzeichnete das Gänsehäufel dann schon 20.000 Badegäste am Tag. 

 

Über den Betrieb im Gänsehäufel kursierten auch zahlreiche Witze: 

Richter: „Aber, aber, liebe Frau, warum wollen Sie sich denn von Ihrem Manne scheiden lassen?“ Frau: „Na, erlauben Sie mir, Herr kaiserlicher Rat, der Schweinskerl hat sein' bisherigen Posten aufgeben und will jetzt um a Stell' als Familienbadwaschel am Gänsehäufel ansuchen!“

 

Neben dem „Herrenbad“ gab es auch ein „Knabenbad“, das als Tages-Erholungsstätte betrieben wurde. Hier tummelten sich oft hunderte Kinder aus Knabenhorten oder von gemeinnützigen Vereinen.

 

Florian Berndl war im Städtischen Strandbad Gänsehäufel eine Zeitlang Oberbadewärter. Er legte sich allerdings mit den Ärzten der Bäderverwaltung an. Der Streit führte zu seiner Degradierung zum Kinderaufseher in der Kindererholungsstätte. Da er allen Verboten zum Trotz aber weiterhin seine Naturheilverfahren anbot, wurde er schließlich entlassen und als Kurpfuscher angeklagt. Er wurde allerdings freigesprochen, weil er aussagte, dass nicht er, sondern die Natur heilen würde.

 

Schrebergärten „Neu-Brasilien“

1909 griff Florian Berndl die Idee der Schrebergärten auf und wollte sie auch in Wien umsetzen. Die ersten Schrebergärten entstanden in Leipzig. 1864 eröffnete der Schuldirektor Ernst Innozenz Hauschild in Leipzig den ersten „Schreberverein“. Es war dies ein Schulverein, der in Zusammenarbeit mit den Eltern entstand. Ein Jahr später wurde der erste „Schreberplatz“ in Leipzig eingeweiht. Es handelte sich dabei um eine Spielwiese, auf der die Kinder der Fabriksarbeiter unter Betreuung eines Pädagogen spielen und turnen konnten. Der Name wurde zu Ehren von Moritz Schreber (1808-1861) gewählt. Schreber war Arzt und Hochschullehrer an der Universität Leipzig gewesen. Gemeinsam mit einem befreundeten Anatomen hatte er ein Konzept zur Erzielung von Gesundheit durch körperliche Ertüchtigung entwickelt. Heinrich Karl Gesell, legte später am Schreberplatz Gärten an. Sie waren als Beschäftigungsmöglichkeit für die Kinder gedacht. Bald aber übernahmen die Eltern der Kinder dieses Refugium. Schließlich wurden die „Familienbeete“ parzelliert und umzäunt. Der „Schrebergarten“ war geboren und fand bald viele Nachahmer. 

 

Florian Berndl erwarb am Ufer der „Alten Donau“ ein Grundstück von 200 m² . Der damals vorhandene weiße Sandstrand inspirierte ihn zu dem Namen „Brasilien in Wien“. Er parzellierte die Fläche und eröffnete die Kleingartenkolonie „Gartenfreunde in Neu-Brasilien“. Um Interessierte für sein Projekt anzuwerben, hielt Florian Berndl Vorträge mit dem Titel: „Wie erwirbt man Grund und Boden ohne Kapital? Wie gestaltet man denselben zu einem Lust- und Nutzgarten aus? Wie vereinbart man Lust- und Nutzgärten mit naturgemäßer Körperpflege?“ Die Pacht für 1 m² betrug 6 Heller. Berndl träumte davon, dass mit der Verwirklichung seiner Idee, Spitäler und Krankenhäuser innerhalb eines Jahres nicht mehr überfüllt sein würden.  

Aber Florian Berndl war nicht nur ein Idealist, sondern auch ein guter Geschäftsmann mit einem eigenen Sturschädel. Seine Schrebergärtner hatten unter seiner Herrschaft daher auch nichts zu lachen. Er sekkierte sie mit seinen Naturheilverfahren und nebenbei verkaufte er ihnen in einer Art Schutzhütte, Wurst und Flaschenbier. Bald kam es zum Aufstand. Ein Teil der Schrebergärtner sagte sich von ihm los und gründete noch 1909 den „Ersten Wiener Lust- und Nutzgartenverein". Doch auch der Rest der „Berndl-Jünger“ folgte bald diesem Beispiel und errichte eine zweite Kolonie. 

 

Bereits zu Florian Berndls Lebzeiten wurde eine offiziell unbenannte Verkehrsfläche, die von der Kagraner Brücke bis zur Kaisermühlenstraße führte, im allgemeinen Sprachgebrauch der Wiener „Berndlgasse bzw. Berndlweg“ genannt. Am 31. Oktober 1960 erhielt die Straße auch amtlich den Namen „Florian-Berndl-Gasse“.

 

Späte Jahre, Tod und letzte Ruhestätte

Florian Berndl

Nach seinem Scheitern hatte Florian Berndl 1913 alles verloren, was er sich aufgebaut hatte. Er zog sich auf die "Berndl-Alm" am Bisamberg zurück und lebte dort asketisch wie ein Einsiedler. Zeitweise züchtete er Champignons.

 

Florian Berndl wollte ein Luftsanatorium namens „Volkssemmering“ am Bisamberg errichten. Neben einem Sand- und Luftbad, dachte er daran, eine Halle mit Quarzglasdach für Sonnenbäder zu errichten. Im Gegensatz zu normalem Fensterglas lässt Quarzglas die Ultraviolett- und Infrarotstrahlung des Sonnenlichts hindurch. Dies wollte Berndl für Behandlungen nutzen. Seine Pläne scheiterten aber an fehlenden Geldgebern. 

 

Mit seinem langen, weißen Haar und dem wallenden Bart wurde er zum bestaunten Original und galt als "verwilderter Narr".  Im Alter von ca. 70 Jahren suchte er via Inserat eine Lebensgefährtin. Tatsächlich stiegen einige Damen zu ihm auf den Berg, aber Berndl schickte sie alle wieder weg, weil sie ihm zu wenig fit für das Leben auf seiner Alm erschienen. Nur Hermine Ptacnik fand seinen Gefallen. Sie blieb bis zu seinem Tod an seiner Seite.  

Inserat Florian Berndl

1918 versuchte Florian Berndl einen Teil seiner „Alm“ samt Gemischtwarengeschäft zu verpachten. 1913 verlieh ihm die Gemeinde Wien eine jährliche Gnadengabe in der Höhe von 1.000 Kronen (entsprach damals ca. 6.800 Euro). Etwas später waren es auf Grund der Geldentwertung 50.000 Kronen/Jahr (= entsprach zuletzt ca. 70 Euro). Berndl geriet immer mehr in finanzielle Nöte, so dass er 1923 um eine Erhöhung der Altersgabe ansuchte. Die Gemeinde erhöhte darauf den Betrag auf 6 Millionen Kronen jährlich (das entsprach ca. 3.500 Euro). 

 

Im August 1934 wurde Florian Berndl im Rahmen einer Wanderung der Gesellschaft der Kräuterfreunde Österreichs geehrt.

 

Angeblich regte sich Florian Berndl Ende 1934 wegen eines Verlustes derart auf, dass sein Gesundheitszustand davon in Mitleidenschaft gezogen wurde. Als seine Lebensgefährtin an einem Sonntag ihre Verwandten in Wien besuchte, erlitt Florian Berndl einen schweren Nervenanfall. Die Rettung brachte ihn zur Versorgung ins AKH. Florian Berndl fühlte sich im Krankenhaus eingesperrt und misstraute den Ärzten. In Panik stürzte er sich aus dem Fenster seines Spitalzimmers.  Wenige Tage später erlag er am 30.11.1934 im 79. Lebensjahr seinen Verletzungen. Im Sterberegister wurde Herzschwäche als Todesursache eingetragen.

 

Seine Parte trug folgenden Wortlaut: „Hermine Ptacnik gibt im eigenen, sowie im Namen aller Verwandten, Nachricht von dem Hinscheiden ihres innigst geliebten, unvergesslichen Lebensgefährten Florian Berndl, Gründer des Bades „Gänsehäufel", sowie der Gartenkolonie „Neubrasilien" a. d. unteren alten Donau, Urheber der Sonnenkultur in Österreich, welcher Freitag den 30. November selig in dem Herrn entschlafen ist. Die irdische Hülle des teuren Verblichenen wird Mittwoch den 5. Dezember um 13 Uhr 20 auf dem Zentralfriedhof, Halle II. 2. Tor (Haupttor) feierlich eingesegnet und sodann im eigenen Grabe zur ewigen Ruhe bestattet. Die heilige Seelenmesse wird in Bisamberg gelesen. Alois und Karl Berndl als Söhne".

 

Florian Berndl war zu seinem Todeszeitpunkt völlig verarmt. Die Gemeinde Wien schenkte ihm ein ehrenhalber gewidmetes Grab am Wiener Zentralfriedhof. Es befindet sich in der Gruppe 43C/1/21.  Leider ist die Inschrift am Grabstein nicht mehr lesbar. Vielleicht wird das Grab ja anlässlich seines 90. Todestages nächstes Jahr wieder gereinigt und die Schrift erneuert?!

Das Schwimmbad in Bisamberg trägt ihm zu Ehren den Namen "Florian Berndl Bad".  


Bildquellen:

  • Geburtsmatrikel: Matricula Online
  • Werbeanzeigen: Anno ONB
    • Neues Wiener Tagblatt v. 21.7.1891, Seite 12: Anno ONB
    • Die Presse v. 21.12.1893, Seite 8: Anno ONB
    • Die Bombe v. 30.9.1894, Seite 6: Anno ONB
    • Deutsches Volksblatt v. 23.2.1897, Seite 16: Anno ONB
    • Allgem. Wr. medizinische Zeitung v. 22.11.1898, Seite 12: Anno ONB
    • Der Hausbesitzer/Hausherren Zeitung v. 15.2.1900, Seite 15: Anno ONB
    • Deutsches Volksblatt v. 28.4.1900, Seite 16: Anno ONB
  • Ansichtskarte Berndl / Kneipp: Wikipedia
  • Berndl mit Söhnen: Wikipedia
  • Berndl-Familie am Gänsehäufel: ONB digital
  • Zeichnung Rettung Fr. Berndl: Die Neue Zeitung v. 29.4.1910, Seite 4: Anno ONB
  • Florian Berndl vor seiner Hütte: 
  • Berndl-Kolonie: ONB digital
  • Inserat: Neues Wiener Journal v. 12.6.1901, Seite 16: Anno ONB
  • Eröffnung städt. Bad Gänsehäufel: ONB digital
  • Badebetrieb: ONB digital
  • Kolonie Neu-Brasilien: Wiener Bilder v. 16.8.1911, Seite 10: Anno ONB
  • Florian Berndl: ONB digital
  • Inserat: Deutsches Volksblatt v. 4.7.1918, Seite 8: Anno ONB
  • Grab Florian Berndl: © Karin Kiradi

Quellen: 

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Kommentare: 2
  • #1

    Hedwig Abraham (Montag, 04 September 2023 05:10)

    Liebe Karin,
    schon der erste Absatz war mit den Hinweisen auf das Sacher und AKH grandios!!! Daaaanke für die tolle Abhandlung!
    lg Hedwig

  • #2

    Gabriele Steindl (Sonntag, 10 September 2023 10:11)

    Wieder ein höchst interessanter Beitrag liebe Karin. Mir hat besonders gut die Berufsbezeichnung „Frotteur“ gefallen. �