Johann Georg Lahner war ein Wiener Fleischhauer und der Erfinder der „Frankfurter Würstchen“.
Herkunft
Johann Georg Lahner wurde in Gasselsdorf bei Ebermannstadt (fränkische Schweiz) geboren. Über sein Geburtsdatum gibt es in div. Quellen unterschiedliche Angaben. Mit ziemlicher Sicherheit war es der 5. Oktober 1774, an dem Johann das Licht der Welt erblickte (andere Quellen geben den 13. August 1772 an). Seine Eltern waren einfache Bauern. Da die Lebensumstände in seiner Heimat sehr schlecht waren, verließ Johann Georg 1795 seinen Heimatort und ging nach Frankfurt/Main, wo er eine Fleischerlehre machte. Frankfurt war zu dieser Zeit bekannt für seine Metzger und deren Fleischerzeugnisse. Johann eignete sich während seiner Lehrzeit alle Fähigkeiten zur Zerteilung und Aufbereitung von Fleisch an. Er erlernte aber auch die Herstellung von Wurstwaren. Nach seiner Gesellenzeit ging Johann Georg auf die Walz. 1798 heuerte er an der Donau auf einem flussabwärts fahrenden Schiff als Ruderknecht an. In Wien ging er dann von Bord.
Wiener Würstchen oder Frankfurter?
In Wien sah sich Johann Georg Lahner nach Arbeit um. Eine Zeit lang arbeitete er als Handlanger in der kaiserlichen Münze. Dann stieg er als „Aufhacker“ bei einem Fleischhauer wieder in seinen erlernten Beruf ein. Nachdem ihm eine wohlhabende ältere Dame ein Darlehen in der Höhe von 300 Gulden gewährte, konnte Johann 1804 dann eine eigene Selcherei in der Vorstadt eröffnen. Sein Geschäft befand sich Am Schottenfeld Nr. 54 (= heute Kaiserstraße 99/ Ecke Neustiftgasse 112).
Als Johann Georg Lahner sein Geschäft 1804 eröffnete, gab es in Wien noch kein anerkanntes und geregeltes Selchergewerbe. Die Fleischhauer beschäftigten sich in Wien auch kaum mit der Erzeugung von Wurstwaren. Das überließen sie den sogenannten „Wurst- und Käsemachern“. In Deutschland hingegen war das Metzgerhandwerk bereits weit verbreitet und auch gesetzlich geregelt. Zu den Zuständigkeiten eines Metzgers gehörte dort auch die Herstellung von Wurstwaren. So hatte auch Johann Georg Lahner in Frankfurt die Erzeugung von „Frankfurter Würsten“ gelernt. Diese wurden entweder aus Schweinefleich oder aus Bullenfleisch hergestellt. Es durfte aber immer nur eine Sorte Fleisch verwendet werden. Die Wursterzeugung war damals eine schweißtreibende Angelegenheit. Das Fleisch klopfte man auf Holzstöcken mit Schlegeln weich. Danach hackte man das Brät mit Wiegemessern. Die Masse spritzte man dann mit einer großen Handspritze in die gereinigten Tierdärme. Das Ganze wurde meist intensiv geräuchert. Typischerweise hatte diese Art von Würsten eine leicht viereckige Form. Das kam daher, weil man sie nach dem Räuchern in Kisten stapelte.
Johann erzeugte in der ersten Zeit in Wien Würste wie er es in Frankfurt gelernt hatte. Doch die rustikale, salzige und sehr rauchige Ware fand bei den Wienern keinen großen Anklang. Deshalb experimentierte Johann an einem neuen Rezept. Da es in Wien keinerlei Auflagen betreffend Verwendung und Mischung von Fleischsorten für Würste gab, mischte er Schweine- und Rindfleisch und erzeugte daraus ein feines Brät. Das Fleisch befreite er dazu vollkommen von Sehnen und hackte es, so fein wie nur möglich, intensiv mit dem Wiegemesser. Die Beigabe von Wasser machte das Ganze noch geschmeidiger. Diese Masse füllte Johann dann in Schaf-Saitlinge. Die langen Därme band er in kleine Stücke ab und drehte je 2 zu einem Paar zusammen. Johann selchte die Würstchen nur relativ kurze Zeit und kochte sie zum Abschluss noch. Die Darmhülle verlieh dem Produkt ein typisches Knacken beim Reinbeißen. Im Mai 1805 verkaufte er erstmals seine neueste Kreation. Mit den neuen „Lahner-Würstchen“ hatte Johann genau den Geschmack der Wiener getroffen. Johann nannte seine Wurst zum Andenken an seine Lehrjahre in Frankfurt „Frankfurter Würstchen“. Auf dem Firmenschild der Fleischselcherei konnte man lesen: „Johann G. Lahner Fleischselcherei – Alleinerzeuger der Original Wiener Frankfurter Würstel“.
Schon bald war die „Wiener Frankfurter-Wurst“ Stadtgespräch und wortwörtlich in aller Munde. Die Spezialität aus Rind- und Schweinefleisch erfreute sich in allen Gesellschaftskreisen großer Beliebtheit. Auch wenn die Würstchen bald Nachahmer fanden, Feinschmecker bevorzugten die „Original-Lahner-Würste“, die auch „Champagner unter den Würsten“ genannt wurden. Ein großer Abnehmer der Fleischerei Lahner war das Casino Zögernitz, das im Volksmund den Spitznamen „Würstelburg“ erhielt. Dort konnte man gelegentlich auch die Familie Lahner gemeinsam mit dem Walzerkomponisten Josef Lanner antreffen, mit dem sie befreundet waren. Auch Lahner Vater und Sohn waren ganz gute Musiker. Die Wiener hatten Lahner und Lanner ins Herz geschlossen und kommentierten das folgendermaßen: „Der Lanner ist für´s Herz und der Lahner für den Magen“.
Jeder in Wien liebte Lahners „Frankfurter“. Johann durfte seine Wurstkreation sogar in der Hofburg bei einer Verkostung Kaiser Franz I./II. präsentieren. Nachdem die heißen Würstel serviert wurden, fragte der Kaiser , wie man denn diese Speise zu essen pflege. Darauf antwortete Lahner mit einer tiefen Verbeugung: „Mit der Hand, Hoheit! Mit der Hand!“ Bald schon belieferte Lahner täglich das Kaiserhaus mit seinen Würsten. Vor allem bei Hofjagden waren die „Frankfurter“ ein beliebter Imbiss.
Der Wiener Kongress in den Jahren 1814/1815 machte die beliebten „Lahner-Frankfurter-Würstel“ über die Landesgrenzen hinaus bekannt. Die ausländischen Gäste wollten aber auch zu Hause ihre „Wiener Würstchen“ nicht missen. Und so wurde die Spezialität bald in vielen Ländern produziert. In allen möglichen Ländern nannte man sie nach ihrem Ursprungsland "Wiener Würstchen". Nur in Wien bzw. Österreich blieben sie die "Frankfurter".
Später genoss angeblich auch Kaiser Franz Joseph die Würstchen gerne zum Gabelfrühstück. Aber auch andere bekannte Persönlichkeiten stärkten sich regelmäßig mit „Lahners Frankfurtern“. Grillparzer, Nestroy, Schubert, Strauß Vater und noch viele andere gönnten sich gerne ein Paar „Frankfurter“ zwischendurch. Adalbert Stifter ließ sich von einem Freund aus Wien die Ware nach Linz schicken. Das ging allerdings nur bei entsprechend niedrigen Temperaturen, da die Würstchen damals ohne Kühlung noch leicht verderbliche Ware waren.
1842 startete die Produktion der „Wiener Würstchen“ in Mailand. 1843 erwarb Lahner das Bürgerrecht von Wien. Mit seiner Fleischselcherei brachte er es zu einem ansehnlichen Vermögen und besaß ein eigenes Haus in Altlerchenfeld Nr. 88 (heute Ecke Lerchenfelderstraße / Blindengasse).
Nachkommen und neue Wurstkreationen
In Wien lernte Johann Georg Lahner auch seine Frau Anna Rösler kennen. Ihr erster gemeinsamer Sohn Josef kam am 31.8.1807 noch als uneheliches Kind zur Welt. Am 22. Feber 1808 heirateten Johann und Anna dann in der Pfarre Schottenfeld. Die Familie wurde im Laufe der Jahre noch durch 3 oder 4 weitere Söhne (auch hier sind die Quellen nicht eindeutig) komplettiert. Jedenfalls ergriffen angeblich alle Nachkommen den Beruf eines Fleischers.
1845 zog sich Johann aus dem Geschäftsleben zurück und übergab den Betrieb an seinen Sohn Josef Lahner (1807-1864), der bereits seit Jahren im Unternehmen mitgearbeitet hatte. Josef Lahner kreierte in Zusammenarbeit mit dem Hotel Sacher das „Sacher Würstel“. Das Brät für dieses Würstchen war besonders fein. Das Würstchen war auch größer und schlanker als das Original und reichte durchaus als Hauptmahlzeit.
Auf der ersten Pariser Weltausstellung 1855 wurden die „Wiener Würstel" ebenfalls präsentiert und erfreuten sich eines regen Zuspruchs. Die Besucher wussten nur nicht so recht, wie sie die Delikatesse korrekt essen sollten. Sie rätselten, ob man die Haut abziehen muss und ob man das Ganze mit Messer und Gabel zerschneiden sollte. Angeblich hat die Fürstin Pauline Metternich dann demonstriert wie die Köstlichkeit am besten schmeckt. Sie nahm die heißen Würstchen in die Hand, riss sie auseinander und biss genüsslich Stück für Stück ab.
Ab 1861 wurden die „Wiener Würstchen“ auch in Amsterdam hergestellt und 1865 startete die Produktion in Linz.
Ein Sohn von Josef Lahner – Karl Lahner (1842-1927) war akademischer Bildhauer und Zeichner. Er spezialisierte sich auf Porträtbüsten. Von ihm stammte aber z.B. auch der Labetrunkbrunnen im Wr. Stadtpark. Dieser wurde zwar im Krieg zerstört, aber 1950 wieder neu errichtet. Karl Lahner hatte in seinem Haus in der Blindengasse 15 ein kleines Familienmuseum. Dort hatte er alles Mögliche zusammengetragen, das an seinen Großvater und seinen Vater und die Erfindung der „Frankfurter Würstel“ erinnerte.
Später führte ein anderer Enkel von Johann Georg Lahner und Sohn von Josef Lahner – Franz Lahner – die Wurstproduktion fort. Er war auch Mitglied in der Produktiv-Gesellschaft der Wiener Fleischselcher. Das war eine Genossenschaft, die seit 1891 am Judenplatz die Schlachtung und Verwertung von Tieren vornahm. Der Familienbetrieb wurde unter Franz Lahner modernisiert und mit den neuesten Maschinen ausgestattet. 1893 wurden die „Lahner Frankfurter Würstel“ als Wiener Delikatesse auf der Weltausstellung in Chicago angeboten.
Der Urenkel von Johann Georg Lahner – Leopold Lahner –war Mitbegründer des Wiener Athletiksportklubs. Als dieser wurde er 1896 zu den ersten Olympischen Spielen nach Athen entsandt. Er ergriff ebenfalls den Beruf eines Fleischhauers und übernahm 1908 den Familienbetrieb. Ab 1907 war er mit Elsa Eichinger, einer Tochter des langjährigen Obmannes der Wiener Kaffeesiedergenossenschaft, verheiratet. Leopold engagierte sich auch im „Club der Wiener Fleischselchersöhne“. Dieser organisierte u.a. Veranstaltungen und verwendete den Reinerlös für wohltätige Zwecke. Leopold verpackte kleinere Frankfurter in Semmelteig und schuf damit die "Würstel im Schlafrock".
Ein Neffe Lahners, ebenfalls Fleischermeister, ging in die Vereinigten Staaten von Amerika und versuchte in Chicago mit der Lahner´schen Erfindung sein Glück. Die eingesessenen Fleischer bezichtigten ihn, dass er eingefangene Hunde zu Würsten verarbeiten würde. Sie nannten sein Produkt daher abwertend „Hot Dog“.
1934 wurden die „Wiener Frankfurter“ bei der Londoner Ausstellung präsentiert und zur Verkostung gebracht. 1951 übernahmen Leopolds Witwe Elsa und sein Sohn Leo Lahner die „Leopold Lahner OHG“. Schlussendlich wurde das Unternehmen aber im Jahr 1958 von der „Georg Plank OHG“ übernommen. Damit endete die Erfolgsgeschichte der Lahner-Würste vorerst.
Tod und letzte Ruhestätte
Johann Georg Lahner starb am 23. April 1845 an Herzbeutelwassersucht. Sein Leichnam wurde am Schmelzer Friedhof begraben.
Als sein Sohn Josef 1864 ebenfalls an Wassersucht starb, wurde auch er dort bestattet. 1897 exhumierte man die sterblichen Überreste der beiden und überführte sie auf den Zentralfriedhof. Dort wurden sie in ein Familiengrab in der Gruppe 3/5/60 gebettet. Das Grab wurde 1975 aufgelassen und 1978 neu belegt. Es ist traurig, dass Gräber solcher (be)merkenswerter Personen nicht erhalten werden und damit auch das Andenken an die Toten langsam in Vergessenheit gerät.
Am Haus in der Kaiserstraße 99 / Ecke Neustiftgasse erinnert eine Gedenktafel an den Schöpfer der „Wiener Frankfurter Würstchen“. Ich hoffe, dass wenigstens dieses Erinnerungsstück hier noch lange Zeugnis geben wird von der einstmals großartigen Leistung des Fleischermeisters Lahner.
In Johann Georg Lahners Geburtsort Gasselsdorf gedenkt man ebenfalls dem genialen Wurstfabrikanten. Im Naturpark in der fränkischen Schweiz erinnert ein Gedenkstein an den Fleischermeister, der in Gasselsdorf geboren wurde. Bilder davon sind unter diesem Link abrufbar.
„Frankfurter“ heute
Auch heute werden die „Frankfurter“ und auch die „Sacher-Würstel“ in Wien noch immer gerne gegessen. Aber nicht nur hier, sondern in zahlreichen Ländern sind sie ein geschätzter Wurstimbiss. Allerdings bekommt man sie andernorts immer unter der Bezeichnung „Wiener Würstchen“ oder „Wienerle“. Natürlich ist die Speise von heute nicht mehr ident mit der Wurst, die Johann Georg Lahner seinerzeit kreiert hat. Die heute angebotene Ware ist wesentlich feiner und auch die verwendeten Gewürze haben sich geändert.
Die Fleischerei Windisch hat versucht die „Ur-Frankfurter“ nachzumachen. Die „Frankfurter“ wie zu Lahners Zeiten kann man bei Windisch oder in ausgewählten Geschäften kaufen. Es wäre interessant ein „Ur-Frankfurter-Würstchen“ und ein „normales“ „Frankfurter Würstchen“ gemeinsam zu verkosten und die Unterschiede zu schmecken. Ich werde das jedenfalls demnächst machen. In diesem Sinne wünsche ich guten Appetit.!
Bildquellen:
- Johann Georg Lahner: Find a grave
- Erzeugung der Frankfurter: Illustrierte Kronen Zeitung v. 13.4.1934, Seite 1: Anno ONB
- Johann Georg Lahner: Wikipedia
- Leopold Lahner Werbeeinschaltung: Anno ONB
- Plakat Club der Wr. Fleischselchersöhne 1905: Wienbibliothek digital
- Sterbebucheintrag: Matricula Online
- Gedenktafel in der Kaiserstraße 99: © Karin Kiradi
- Ur-Frankfurter von Windisch
Quellen:
- Wiener Zeitung v. 27.4.1845, Seite 5: Anno ONB
- Das Vaterland v. 15.9.1864, Seite 3: Anno ONB
- Neues Wiener Journal v. 14.8.1897, Seite 6: Anno ONB
- Welt Blatt v. 15. August 1897, Seite 4: Anno ONB
- Neues Wiener Journal v. 19.8.1897, Seite 6: Anno ONB
- Illustrierte Kronen Zeitung v. 26.8.1905, Seite 4: Anno ONB
- Illustriertes Wiener Extrablatt v. 31.8.1907, Seite 6: Anno ONB
- Illustriertes Wiener Extrablatt v. 18.7.1916, Seite 7/8: Anno ONB
- Amtsblatt der Stadt Wien 1951: Wienbibliothek digital
- Handelsregister 1966: Wienbibliothek digital
- Rathaus-Korrespondenz 1980: Wien digital
- Erlafthal-Bote v. 7.2.1989, Seite 1: Anno ONB
- Neues Wiener Tagblatt v. 16.12.1926, Seite 13: Anno ONB
- Welt Blatt v. 24. Juni 1930, Seite 5: Anno ONB
- Illustrierte Kronen Zeitung. v. 13.4.1934, Seite 2: Anno ONB
- Illustrierte Kronen Zeitung v. 30.6.1944, Seite 4: Anno ONB
- Rathaus-Korrespondenz 1980: Wienbibliothek digital
- Zeit für Genuss 2018
- Wikipedia
- Wien Geschichte Wiki
- Produktiv-Gesellschaft der Wr. Fleischselcher – Wienbibliothek digital
- Deutschlandfunk
- Wiener Küche
- Im 7ten.com
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Herbert Resetarits (Freitag, 19 Mai 2023 18:32)
Wieder ein super Bericht über eine tolle Wiener Spezialität, ich wurde oft in Deutschland gefragt wie die beiden Namen entstanden . Ungefähr war mir die Entstehung bekannt, nur nicht so genau. Die Entstehung des Sacher Würstel war mir so noch nicht bekannt. Freu mich schon auf den nächsten Beitrag. Mit freundlichen Gruß Herbert Resetarits
Romi Brandel (Freitag, 19 Mai 2023 21:57)
Ich habe mich schon auf einen weiteren Beitrag gefreut, der wieder sehr informativ und unterhaltsam geworden ist. Danke dafür.
G.Steindl (Sonntag, 21 Mai 2023 08:48)
Danke für die Klärung des Rätsels betreffend des Namens. Hast du die Verkostung schon gemacht? Das Ergebnis wäre interessant. Super Beitrag!
Barbara Oswald (Sonntag, 21 Mai 2023 12:46)
Grandios.