Herkunft und Jugend
Matěj Šindelář wurde am 10. Feber 1903 in eine ärmliche Familie in Kozlov (Mähren) hineingeboren. Nach ihm kamen noch 2 Schwestern dazu:
- Rosa (1904-1942) ⚭ Leopold Schütz
- Poldi (1903-1988) ⚭ Franz Schulz (1900-1963)
Der Vater (†1917) war Maurer, Mutter Marie (1877-1961) kümmerte sich um die Kinder. Wie viele arme Familien aus Böhmen und Mähren ging die Familie 1906 nach Wien und hoffte hier auf eine bessere Zukunft. Sie mieteten sich in einer kleinen Wohnung im 10. Bezirk in der Quellenstraße ein. Sie gehörten zu jenen zugezogenen Arbeiterfamilien, die in Wien abschätzig als „Ziegelböhmen“ bezeichnet wurden. Der Name rührte daher, weil sie hauptsächlich in den Ziegeleien in Favoriten tätig waren.
Von seinen Freunden wurde Matěj nur „Motzl“ genannt. Gemeinsam mit anderen Arbeiterkindern vertrieb er sich mit dem „Fetzenlaberl“, einem Ball, der aus Stoffresten zusammengenäht worden war, die Zeit.
1917 fiel der Vater im 1. Weltkrieg an der Isonzo-Front und so musste die Mutter ihre Kinder alleine versorgen. Um etwas zum Familieneinkommen beisteuern zu können, begann Matthias schon mit 14 Jahren eine Schlosserlehre. Diesen Beruf übte er später aber nie aus. Gleichzeitig mit dem Beginn seiner Lehre bewarb er sich bei der Jugendmannschaft eines Favoritner Fußballklubs um die Aufnahme. Fußball war damals eines der Betätigungsfelder, von dem sich junge Männer die Chance auf ein besseres Einkommen versprachen.
Der Weg eines Fußballspielers
Im Jahre 1918 kam Matthias Sindelar in die Jugendmannschaft des ASV Hertha. Wegen der Vereinsfarben wurden die Spieler „die Blau-Weißen“ genannt. Das Stadion des Vereins befand sich neben Sindelars Wohnhaus an der Ecke Quellenstraße/Steudlgasse. Bald schon zeigte sich Sindelars große Begabung für das Fußballspiel. Er fiel durch seine ausgefeilte Technik und sein „körperloses“ Spiel auf. Er versuchte Zweikämpfe zu vermeiden, in denen er auf Grund seiner eher schmächtigen Statur meist unterlegen gewesen wäre. Diese Charakteristik seines Spiels brachte ihm den Spitznamen „der Papierene“ ein. Mit 18 Jahren debütierte Sindelar in der Kampfmannschaft der österreichischen Meisterschaft und erzielte bereits während dieser Saison die ersten Tore. Im Jahr darauf wurde er zum Stammspieler der Blau-Weißen.
1923 zog sich Sindelar bei einem schweren Sturz im Schwimmbad eine massive Meniskusverletzung zu. Die gerade begonnene Karriere des jungen Sportlers schien schon wieder beendet zu sein. Anhaltende Knieschmerzen machten eine Operation nötig, die dank des berühmten Arztes Dr. Hans Spitzy hervorragend glückte. Zur Sicherheit trug Sindelar von da an das rechte Knie immer bandagiert. Der Kniestrumpf wurde im Laufe seiner weiteren Karriere zu seinem Markenzeichen. Aus Angst vor einer neuerlichen Verletzung, intensivierte er zunehmend sein berühmtes Spiel ohne Körperkontakt.
1924 schlitterte Hertha in eine finanzielle und sportliche Krise. Der unglückliche zehnte Platz bedeutete den ersten Abstieg in der Vereinsgeschichte. Um die angehäuften Schulden abdecken zu können, mussten mehrere Spieler verkauft werden, darunter war auch Matthias Sindelar. Der Stürmer überlegte Wien zu verlassen und nach Italien zu „Triest“ zu gehen. Sindelar entschloss sich jedoch, in Wien zu bleiben. Im Sommer 1924 wechselte er zu den „Amateuren“, die kurz vorher ihren ersten Meistertitel errungen hatten. Anfangs hatte Sindelar Probleme sich in der Kampfmannschaft zu behaupten. Doch schon bald zog er durch seine technisch hoch versierte Spielweise immer mehr Zuschauer in seinen Bann und wurde schnell zu einem der Lieblingsspieler der Amateure-Anhänger.
In Österreich wurde damals eine Profiliga eingerichtet, die erste am europäischen Festland. Damit erschien der Name „Amateure“ nicht mehr zeitgemäß und der Klub wurde im November 1926 in „Fußballklub Austria“ umbenannt. Durch den Profibetrieb stieg allerdings auch die Verschuldung des Vereins und die "Austria" erlebte einen finanziellen Bankrott.
Sindelar spielte bei der „Austria“ eine immer größere Rolle. Sportliche Erfolge blieben jedoch vorerst aus. 1927 war Sindelar mit 18 Toren zwar bester Schütze seines Vereins, allerdings reichte das nur für Rang 7 in der Meisterschaft. In den beiden folgenden Saisonen brachte es die „Austria“ gar nur auf Platz acht. 1927 und 1930 gelang der Titelgewinn im Cup. Trotz der eher mittelmäßigen Erfolge galt Sindelar als Aushängeschild des Vereins und als einer der populärsten Spieler Wiens.
Matthias Sindelar wurde mit seiner „Austria“ zwar nur einmal Meister, aber neben 3 Cupsiegen gewann der Club 1933 und 1936 den Mitropacup. Das war quasi der Vorläufer des heutigen Europapokals bzw. der Champions League.
Sein letztes Spiel mit seiner „Austria“ spielte Sindelar am 26. Dezember 1938 in Berlin gegen Hertha BSC und schoss auch ein Tor. Das Spiel endete mit einem 2:2 unentschieden.
Das Wunderteam
1926 debütierte Sindelar in der österreichischen Nationalmannschaft gegen die Tschechoslowakei und erzielte in Prag den Siegestreffer zum 2:1-Erfolg. Auch bei den nächsten Länderspielen war Sindelar Torschütze. Damit wurden auch andere Vereine auf Sindelar aufmerksam und versuchten ihn abzuwerben. Er blieb aber seinem Club treu.
1928 musste Österreich gegen die süddeutsche Auswahl eine Niederlage einstecken. Nach Ansicht von Hugo Meisl, dem damaligen Verbandskapitän der österr. Fußballnationalmannschaft, war Sindelars Dribbling, das sogenannte „Scheiberlspiel“, die Ursache für die vielen Ballverluste gewesen. Sindelar kommentierte das Spiel bei der Heimreise so: „Weißt warum ma nicht gwonnen haben? Mia hätt’n no mehr scheiberln müssn!“ Hugo Meisl, dem diese Spielart grundsätzlich widerstrebte, stellte daraufhin Sindelar nicht mehr in der Nationalmannschaft auf. Nach 14 Spielen ohne Sindelar, wurde der Druck der Fans, Journalisten und Sportfachleute auf Meisl immer größer, Sindelar wieder einzusetzen. Im Mai 1931 kam es im Wiener Ring-Café am Stubenring zu einer verbalen Auseinandersetzung zwischen einigen Pressevertretern und Hugo Meisl. Schließlich lenkte Meisl mit den Worten: „Da habt’s euer Schmiranskiteam!“ ein. Dabei warf er den Sportjournalisten einen Zettel mit der gewünschten Aufstellung für das bevorstehende Schottland-Spiel hin. Sindelar kehrte damit wieder ins Team zurück und besetzte die Position des Mittelstürmers.
Das Spiel gegen die Schotten gewann Österreich völlig überraschend 5:0. Der Erfolg war umso gewichtiger, als die Schotten bis dato auf dem europäischen Festland ungeschlagen waren. Dieses Spiel gilt auch als die Geburtsstunde des österreichischen Wunderteams. Die Mannschaft heimste Sieg um Sieg ein und ging vom 12. April 1931 bis zum 3. Juni 1934 in 31 Länderspielen 21-mal als Sieger vom Platz. Sie kassierten in der Zeit nur 3 Niederlagen und schossen 101 Tore. So erzielten sie z.B. ein 6:0 und ein 5:0 gegen das Deutsche Reich. Weitere Erfolge verbuchten sie mit 8:1 gegen die Schweiz, 4:0 gegen Frankreich, 2:1 gegen Italien, 6:1 gegen Belgien, 4:3 gegen Schweden. Das wahrscheinlich beste Spiel seiner Nationalmannschaftskarriere absolvierte Sindelar jedoch gegen den damaligen großen „Erzfeind“ Ungarn am 24. April 1932. Ungarn war damals, wie Österreich, eine der besten Mannschaften der Welt. Österreich gewann 8:2, wobei Sindelar alle 8 Tore schoss.
1932 gewann Österreich mit Sindelar als Kapitän den Europapokal der Fußball-Nationalmannschaften, den Vorläufer der heutigen Europameisterschaft.
Eine Niederlage des Wunderteams brachte allerdings auch große internationale Anerkennung mit sich. Es war das Spiel gegen England in London am 7. Dezember 1932. England war bis zu diesem Zeitpunkt zu Hause ungeschlagen und bislang hatte es noch keine europäische Mannschaft geschafft mehr als ein Ehrentor zu erzielen. Bis zur Pause lagen die Österreicher mit 2:0 zurück. In der 2. Halbzeit setzten sie dann ihr berühmtes Kombinationsspiel ein. Damit schafften sie dreimal den Anschlusstreffer, gingen kurz sogar in Führung und verloren schlussendlich 4:3. Die britische Presse lobte das technisch hochwertige Spiel der Österreicher damals über alle Maßen und nannte Sindelar den besten Spieler der Welt. Noch heute erinnert eine Gedenktafel in Wembley an dieses berühmte Spiel.
Die Siegesserie des Wunderteams, mit Sindelar als Kapitän, endete mit einer 1:2-Heimniederlage gegen die Tschechoslowakei am 9. April 1933.
1934 nahm Österreich bei der Fußballweltmeisterschaft in Italien teil. Die heimischen Fans erwarteten natürlich den Titelgewinn. Vom einstigen Wunderteam waren jedoch die meisten Spieler längst ins Ausland gewechselt. Hinzu kamen auch noch zahlreiche Verletzungen. So fehlten insgesamt sieben Spieler des Wunderteams bei der Reise nach Italien. Trainer Jimmy Hogan und Betreuer mussten aus finanziellen Gründen auf die Mitfahrt verzichten. Das 1. Spiel gegen Frankreich konnte nur mit Mühe nach einer Verlängerung mit 3:2 gewonnen werden. Im Viertelfinale siegten sie mit 2:1 gegen Ungarn. Im Halbfinale trafen sie auf Italien und verloren 0:1. In diesem Spiel kam es zu zahlreichen Verstößen des Schiedsrichters. Jahre später stellte sich heraus, dass die Schiedsrichter Ehrengäste bei Benito Mussolini gewesen waren und dieser sie bestochen hatte. Österreich schied im Halbfinale aus. Am Spiel um Platz 3 gegen das Deutsche Reich konnte Sindelar verletzungsbedingt nicht teilnehmen. Es wurde dann nur Platz 4 für Österreich. Die Fans empfingen das „Plunderteam“, wie sie es nun nannten, bei ihrer Ankunft am Südbahnhof mit Pfiffen und Pfuirufen.
1936 erreichte das österreichische Nationalteam bei den Olympischen Spielen die Finalteilnahme. Dort unterlagen sie mit 1:2 Italien. Es ist bis heute das einzige Finale, das Österreich bei einem bedeutenden internationalen Turnier erreicht hat.
Fußball ist nicht alles
Sindelar war immer auf finanzielle Absicherung bedacht. Während seiner Karriere als Profifußballer arbeitete er regelmäßig als Abteilungsleiter der Sportartikelfirma Pohl. Gewohnt hat Sindelar dabei immer in der Wohnung seiner Mutter. Zusätzlich hatte er einen kleinen Schrebergarten, in den er sich gerne zurückzog. Seine große Popularität verschaffte Matthias Sindelar auch zahllose Werbeaufträge für Anzüge, Uhren und Molkereiprodukte. Man konnte sich damals Sindelar-Bälle kaufen oder einen Sindelar-Ulster im bekannten Wiener Modehaus Tlapa erstehen. Sindelar wirkte 1938 in Ungarn im Film „Roxy und ihr Wunderteam“ als Schauspieler mit, wobei er sich selbst spielte.
Sindelar besaß auch ein Gemischtwarengeschäft in der Zentagasse 5. Dieses führten seine Schwester Rosa und ihr Ehemann.
Sindelar vergaß aber auch nie seine Herkunft. Regelmäßig besorgte er für die Arbeiterkinder Freikarten für die Fußballspiele.
Auswirkungen der NS-Herrschaft auf das Fußballspiel
Nach dem Anschluss Österreichs im März 1938 wurde die österreichische Fußballnationalmannschaft aufgelöst. Dabei hatte sie sich gerade erst für die kommende Weltmeisterschaft in Frankreich qualifiziert.
Jüdische Vereine, dazu zählte auch die Wiener "Austria", wurden verboten und ihre Spieler festgenommen. Ein Großteil der Funktionäre und Spieler floh unmittelbar nach dem Anschluss. Der Verein durfte schließlich unter dem Namen „SC Ostmark Wien“ weiter bestehen. Nach zahlreichen Protesten und wohl auch um die erfolgreiche Marke "Austria" nutzen zu können, durfte sich Sindelars Verein schließlich wieder „Austria“ nennen.
Als der Präsident der „Austria“, Emanuel Michl Schwarz seines Amtes enthoben wurde und man verbot, ihn auch nur zu grüßen, meinte Sindelar zu ihm: „I, Herr Doktor, werd’ Ihna oba immer griaß’n.“ In weiterer Folge wurden alle Profifußballerverträge per 31. Mai 1938 aufgelöst.
Die neuen Machthaber organisierten ein „Anschlussspiel“ zwischen „Deutschland“ und „Deutsch-Österreich“, das am 3. April 1938 gespielt wurde. Es wurde auch als "Versöhnungsspiel" bezeichnet. Die Österreicher spielten nicht in ihrem traditionellen schwarz-weißen Dress, sondern in der rot-weiß-roten Auswärtsdress. Die Deutschen trugen ihre weiß-schwarzen Heimdressen. Zeitungen berichteten, wie Sindelar in diesem Spiel provokant zahlreiche Chancen vergab. Angeblich war der Befehl ausgegeben worden, nicht zu gewinnen. In der 2. Halbzeit ließen sich die Österreicher aber nicht mehr bremsen. Nach dem 1:0 führte Sindelar vor der Ehrentribüne der Nationalsozialisten einen regelrechten Freudentanz auf. Österreich gewann das Anschlussspiel schließlich 2:0, die Treffer erzielten Sindelar und sein Freund Karl Sesta.
Nach dem Schlusspfiff und nach dem vorschriftsmäßig ausgebrachten „Sieg-Heil“« in der Mitte des Spielfeldes reichten sich die deutsch-österreichischen und die deutschen Spieler die Hände. Dann marschierten sie unter den Klängen eines flotten Marsches in einer Front zur Ehrentribüne. Der Reichssportführer von Tschammer und Osten eilte von der Tribüne hinunter um Sindelar herzlich zu gratulieren. Sindelar brachte daraufhin auf den deutschen Sportführer ein dreifaches „Sieg-Heil“ aus, in das seine Mitspieler und zehntausende Zuschauer begeistert einstimmten.
Sindelar wurde danach mehrmals von Reichstrainer Sepp Herberger in die reichsdeutsche Nationalmannschaft einberufen, u.a. für die Fußball-Weltmeisterschaft 1938. Sindelar weigerte sich jedoch, für diese zu spielen.
nach der Fußballkarriere
Nachdem der Profifußball verboten worden war, schuf sich Sindelar ein zweites Standbein. Er kaufte das Kaffeehaus „Annahof“ in der Laxenburgerstraße 16. Das gut gehende Lokal gehörte davor einem Juden namens Leopold Simon Drill (1867-1943). Im April 1938 wurde von der „Arisierungsstelle“ ein kommissarischer Verwalter für das Kaffeehaus eingesetzt. Dieser untersagte Ariern den Besuch des Lokals. Damit wurde das Kaffeehaus immer mehr zum Treffpunkt der jüdischen Bevölkerung, die ihrerseits wiederum vom Besuch der meisten anderen Lokale ausgeschlossen worden war. Auf Drill wurde heftiger Druck ausgeübt, das Lokal zu verkaufen. Mitte Juni 1938 gab er schließlich nach und reichte seine Verkaufsanmeldung ein. Zeitgleich ging bei der Behörde der Kaufantrag von Matthias Sindelar für das Kaffeehaus Annahof ein. Angeblich kannten sich die beiden Männer. Sindelar soll in Drills Cafe regelmäßig Tarock gespielt haben.
Da Sindelar im Antragsformular für den Kauf angegeben hatte, kein Parteimitglied zu sein, musste er eine eidesstattliche Erklärung abgeben, arischer Abstammung zu sein. Die Kreisleitung IV der NSDAP-Gau-Wien bestätigte, dass gegen die politische Einstellung des Parteigenossen Sindelar keine Bedenken bestünden. Außerdem setzte sich auch der österreichische Fußballverband ein, dass Sindelar das Lokal zugesprochen wurde. Schließlich kaufte Sindelar das „arisierte“ Kaffeehaus am 3. August 1938 für 20.000 Reichsmark. Das Geld wurde bei einem Treuhänder hinterlegt. Drill erhielt davon allerdings nichts. Plötzlich aufgetretene Forderungen, wie Arisierungsabgabe, nicht bezahlte Krankenkassenabgaben, Forderungen des Oberkellners usw. fraßen den Betrag auf. Kurze Zeit später wurde Drill nach Theresienstadt deportiert, wo er starb. Sein Sohn wurde aus dem KZ Dachau nach Buchenwald verlegt, dort 1939 entlassen und konnte anschließend nach England fliehen.
Sindelar renovierte das Lokal und betrieb es bis zu seinem Tod. Die NSDAP versuchte Sindelar zu vereinnahmen und verkündete bei der Eröffnung des Kaffeehauses eine große Zukunft des ostmärkischen Fußballs. Sindelar weigerte sich jedoch stets, der Partei beizutreten.
Heute wird die Rolle Sindelars in der Arisierung des Kaffeehauses sehr kontrovers beurteilt. Ihm wird als „Ariseur“ eine Mitschuld zugesprochen.
Rätselhafter Tod und letzte Ruhestätte
Mathias Sindelar starb am 23. Jänner 1939 im Alter von nur 36 Jahren. Die Umstände seines Todes sind bis heute nicht völlig geklärt. 2 Tage davor hatte er noch mit seiner Mutter ihren 62. Geburtstag gefeiert. Dann verbrachte er den Samstag bis in die Morgenstunden mit seinen Sportsfreunden zuerst bei einem Fest und dann in Sindelars Cafe.
Erst einige Wochen vorher hatte Sindelar die „Rösslwirtin“ Camilla Castagnola kennengelernt. Sie betrieb gemeinsam mit einer 2. Frau eine "Gulaschhütte" im 1. Bezirk in der Annagasse 3. Das Lokal hatte täglich ab 4 Uhr früh geöffnet. Angeblich rief Camilla Castagnola am Sonntag früh in Sindelars Lokal an, um ihn zu sich zu bitten. Als Sindelar ablehnte, soll sie gesagt haben: „Wenn er nicht kommt, geschieht etwas Furchtbares.“ Daraufhin machte sich Sindelar gemeinsam mit einigen Freunden in das Wirtshaus in der Inneren Stadt auf. Sindelar blieb auch noch dort, als die anderen heimkehrten. Am Montag erfuhr Sindelars Freund, dass Motzl nicht nach Hause gekommen war. Er fuhr daraufhin in das Lokal im 1. Bezirk. Dort musste er feststellen, dass auch die Wirtin nicht zur Arbeit erschienen war. Daher ließ er die Tür zu ihrer Wohnung im 2. Stock oberhalb des Lokals aufbrechen. Dort fanden sie Matthias Sindelar tot auf. Camilla Castagnola lebte noch, war aber bewusstlos. Doch auch sie starb einen Tag später und konnte keine Aussage mehr machen.
Der Tod der beiden führt bis heute zu wilden Spekulationen. Diese reichen von einem Gasunfall aufgrund eines schadhaften Kamins über einen gemeinsamen Selbstmord bis hin zu Mord durch Vergiften. Es könnte der Mord einer abgewiesenen Liebhaberin gewesen sein oder die Beseitigung eines unbelehrbaren Parteischädlings durch die Nazis. Was es tatsächlich war, wird man wohl nicht mehr erfahren, denn scheinbar fehlen die Unterlagen über das Ergebnis der Obduktion. Im Totenschein wurde jedenfalls Kohlenoxydgasvergiftung infolge eines Unfalls eingetragen.
Camilla Castagnola wurde am Ottakringer Friedhof beerdigt. Ihr Grab existiert heute allerdings nicht mehr.
Das Begräbnis von Matthias Sindelar fand am 28. Jänner am Zentralfriedhof statt. Ca. 15.000 Trauergäste aus aller Welt nahmen an der feierlichen Verabschiedung teil. Der Sarg wurde in der Friedhofskirche aufgebahrt. Zuerst sang der Staatsopernchor, dann folgten Reden von hochrangigen Politikern und Sportfunktionären. Zuletzt dankte ein Hitlerjunge für das, was Sindelar für die Jugend getan hatte und versprach, dass die Jugend immer diesem sportlichen Vorbild nacheifern werde.
Der Kondukt zum Grab wurde vom Torhüter angeführt, der Sindelars Dress und einen Fußball trug. Die restlichen Spieler der „Austria“ begleiteten den Sarg.
Das Grab befindet sich in Gruppe 12B, Reihe 3, Nr. 11 in der Nähe von Tor 2. Es wurde ehrenhalber gewidmet.
posthume Ehrungen
Die Konzessionen sowohl für das Gemischtwarengeschäft, als auch für das Kaffeehaus wurden nach Sindelars Tod von den Behörden eingezogen. Sindelars Mutter wurde die Übernahme des Lokals verweigert, da sie einer Förderung durch die NSDAP als nicht würdig befunden wurde.
Friedrich Torberg setzte Sindelar mit folgenden Zeilen ein Andenken:
Er war ein Kind aus Favoriten und hieß Matthias Sindelar.
Er stand auf grünem Platz inmitten, weil er ein Mittelstürmer war.
Er spielte Fußball und er wusste vom Leben außerdem nicht viel.
Er lebte, weil er leben musste vom Fußballspiel fürs Fußballspiel.
Er spielte Fußball wie kein Zweiter, er stak voll Witz und Phantasie.
Er spielte lässig, leicht und heiter, er spielte stets, er kämpfte nie.
Er warf den blonden Schopf zur Seite, ließ seinen Herrgott gütig sein,
und stürmte durch die grüne Weite und manchmal bis ins Tor hinein.
Es jubelte die Hohe Warte, der Prater und das Stadion,
wenn er den Gegner lächelnd narrte und zog ihm flinken Lauf davon.
Bis eines Tags ein andrer Gegner ihm jählings in die Quere trat,
ein fremd und furchtbar überlegener, von dem’s nicht Regel gab noch Rat.
Von einem einzigen harten Tritte fand sich der Spieler Sindelar
verstoßen aus des Planes Mitte, weil das die neue Ordnung war.
Ein Weilchen stand er noch daneben, bevor er abging und nach Haus.
Im Fußballspiel, ganz wie im Leben, war's mit der Wiener Schule aus.
Er war gewohnt zu kombinieren, und kombinierte manchen Tag.
Sein Überblick ließ ihn erspüren, dass seine Chance im Gashahn lag.
Das Tor, durch das er dann geschritten, lag stumm und dunkel ganz und gar.
Er war ein Kind aus Favoriten und hieß Matthias Sindelar.
Am 1. Juni 1960 wurde im 10. Bezirk die „Sindelargasse“ nach dem großen Fußballer benannt.
2008 brachte die Wiener Austria In der Annagasse 3 eine Gedenktafel an. Sie soll daran erinnern, dass Matthias Sindelar dort unter ungeklärten Umständen gestorben ist.
Zum Anlass „100 Jahre österreichischer Fussballbund“ gab die österr. Post 2004 eine Sonderbriefmarke mit einem Bild Matthias Sindelars heraus. Kleiner Fauxpas: der Vorname Sindelars wurde auf der Marke falsch geschrieben!
Es gibt unzählige Bücher über den charismatischen Fußballer. Etwas Besonderes ist aber die Aufbereitung des Lebens von Matthias Sindelar und die Zeit der Dreißigerjahre von Sascha Dreier unter dem Titel „der Papierene“ als Comic-Heft.
Bildquellen:
Marie Sindelar: Illustrierte Kronen Zeitung v. 21. 1. 1937, Seite 14, Anno ONB
Matthias Sindelar: Redaktion österr. Pressebüro
Das Team der Amateure: FK Austria
Wunderteam beim Spiel Österreich - Ungarn am 24.April 1932, ONB digital
Matthias Sindelar: ONB digital
Sindelar im Spiel der Wr. Austria gegen FAC: Redaktion österr. Pressebüro
Sindelar aktiv beim Spiel: Wienbibliothek Digital
Bilder vom Wunderteam und andere Sportbilder: Bildarchiv Arbeiter-Zeitung
Aufstellung des Wunderteams: Wikipedia
Werbefoto: Bildarchiv Arbeiter-Zeitung
Shake-Hands beim Spiel Österreich - Deutsches Reich am 03.04.1938, ONB digital
Sindelar vor seinem Cafe: ONB digital
Sindelar bei Eröffnung seines Cafes: Gräber Fußballgötter
Parte: Redaktion Österreichisches Pressebüro
Totenschau-Befund: Geschichte Wiki Wien
Grab: © Karin Kiradi
Fotos v. Begräbnis: Kulturpool
Gedenktafel in der Annagasse 3: © Karin Kiradi
Sonderbriefmarke: Briefmarkengilg
Quellen:
Falter- Webarchiv
Wiener Zeitung - Webarchiv
Uwe Ruprecht: Das Tor - der Tod
Die Austria im Nationalsozialismus: FK Austria
Mitropacup der Austria: FK Austria
Sporthaus Pohl - Wienbibliothek
Rathauskorrespondenz - Wienbibliothek
Amtsblatt der Stadt Wien 1939 - Wienbibliothek
Amtsblatt der Stadt Wien 1968 - Wienbibliothek
Versöhnungsspiel: Geschichte Wiki Wien
NU - Jüdisches Magazin für Politik und Kultur, Heft 14, Seite 7-11, Anno ONB
Innsbrucker Nachrichten v. 3. August 1936, Seite 7, Anno ONB
Illustrierte Kronen Zeitung v. 21.1.1937, Seite 14, Anno ONB
Der Montag v. 4. April 1938, Seiten 6-8, Anno ONB
Illustrierte Kronen Zeitung v. 25.1.1939, Seite 5, Anno ONB
Das kleine Volksblatt v. 24.1.1939, Seiten 1, 5-6, Anno ONB
Das Kleine Blatt v. 5. Februar 1939, Seiten 57-58, Anno ONB
Grabdaten: Friedhöfe Wien
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Hedwig Abraham (Dienstag, 30 August 2022 08:43)
Ich bin wieder mal baff. Die Aufstellung des Teams so schön bildhaft rübergebracht!
Sportbegeistert bist du also auch. Eine Allrounderin.
die Version vom papierenen kannte ich noch nicht. Ich mag es, bei dir immer wieder was Neues zu lesen.
Danke!
lg Hedwig
Gabi Steindl (Mittwoch, 07 September 2022 13:30)
Das waren halt damals Ergebnisse. So ein Wunderteam bräuchten wir jetzt auch.
Super Artikel Karin :-)