Viel ist über das Leben von Andreas Keller nicht bekannt. Nur soviel: Er wurde am 06.04.1797 in Hetzendorf geboren und lebte vermutlich in bescheidenen Verhältnissen. Als junger Mann war er in Baden/Wien als Bediensteter bei einer gewissen Frau Ephraim beschäftigt. Doch dann veränderte ein einschneidendes Ereignis sein weiteres Leben.
Attentat auf Thronfolger Ferdinand
Kaiser Franz II/I. kam seit ca. 1790 regelmäßig nach Baden/Wien, wo er Bäder nahm. Die kaiserliche Familie verbrachte die Sommermonate vorerst in der Bäckerstraße 364 (heute Grabengasse 23) oder am Platz 91 (heutiger
Hauptplatz 22). Nach dem großen Stadtbrand im Juli 1812, bei dem 137 Häuser abbrannten, kaufte der Kaiser 1813 das ehemalige Palais Esterhazy am Hauptplatz 17. Seine Gattin Maria Ludovica war eigentlich dagegen, weil sie es für nicht standesgemäß hielt. Sie schrieb an ihren Gatten: „Ich besah das Haus, das wir bewohnen sollen und muß dir offen herzig gestehen, daß ich es sowohl unbewohnbar für heuer als unfähig einer zweckmäßigen Verbesserung finde.“ Dennoch verbrachte die Kaiserfamilie von da an jedes Jahr ihre Sommerfrische in diesem Haus, das bald den Namen "Kaiserhaus" bekam. Die Anwesenheit der Kaiserfamilie zog in Folge auch andere Habsburger und die restliche Aristokratie an. Für die Stadt Baden bedeutete dies eine enorme Aufwertung und einen großen Aufschwung.
Auch im August 1832 weilte die kaiserliche Familie wieder in Baden. Dazu gehörte auch der damals 39jährige, älteste Sohn des Kaisers, Kronprinz Ferdinand (1793 – 1875). Ferdinand war zu diesem Zeitpunkt bereits König von Ungarn. Er litt an Epilepsie, Rachitits und einem Wasserkopf. Seine Krankheiten waren vermutlich auf die enge Verwandtschaft seiner Eltern zurückzuführen. In der Bevölkerung wurde Ferdinand als „Nandl der Trottel“ oder auch „Nanderltrotterl“ verhöhnt. Als Kaiser bekam er später den Beinamen „Ferdinand der Gütige“. Dies deshalb, weil er keine Änderungen vornahm und alles beim Alten beließ. Regiert haben im Hintergrund andere Personen. In Anspielung auf sein Äußeres nannte man ihn in Wien meist „Gütinand der Fertige“.
Am 9. August 1832 begab sich Ferdinand gemeinsam mit seinem Dienstkämmerer Graf von Salis nach dem Besuch der Messe auf einen Spaziergang in Richtung Helenental. Ihnen folgte mit etwas Abstand ein untersetzter Mann in reiferem Alter in einem schwarzen Gehrock. Die Herrschaften gingen durch die Berggasse (heutige Marchetstraße), in der zu dieser Zeit 4 Männer ihrer Arbeit nachgingen. Der 35jährige Andreas Keller war im Garten von Frau Ephraim tätig. Der 23jährige Franz Tauscher, Gärtner in der Villa des Arztes Dr. Rollet, goß im Garten der Villa in der Berggasse 131 die Blumen. Joseph Glaner, ein Hauer aus Baden, war im Weingarten beschäftigt und der Fuhrmann Joseph Bernscherer kam gerade des Weges.
Am Ende der Straße attackierte der Verfolger Ferdinands plötzlich mit Majestätsbeleidigungen den Kronprinzen. Dieser reagierte phlegmatisch mit der Frage: „Was mocht denn der Mensch da?“ Das wiederum versetzte den Angreifer in noch größere Rage und er zog ein Terzerol (=Vorderladerpistole) aus der rechten Rocktasche und schoss auf Ferdinand. Ferdinand wurde zwar getroffen, taumelte, ging aber nicht zu Boden. Durch den Tumult auf offener Straße wurden die Arbeiter in der Nähe auf das Geschehen aufmerksam. Blitzschnell erfassten sie die Situation und versuchten einzugreifen.
Andreas Keller war als erster zur Stelle. Der Täter wollte sich nun mit einem Schuss in den Mund selbst richten. Die abgefeuerte Kugel blieb in seinem Rachen stecken, verursachte ansonsten aber keine größeren Schäden. Nun wollte der Mann einen weiteren Schuss in Richtung herbeieilenden Franz Tauscher abgeben. Glücklicherweise verhinderte eine Ladehemmung ein weiteres Unglück. Die Retter stürzten sich auf den Attentäter und konnten ihn außer Gefecht setzen. Joseph Glaner kam den beiden Männern zu Hilfe. Er verwendete sein Halstuch, um die Hände des Verbrechers zu binden. Der Fuhrmann Bernscherer half, ihn zum Rathaus zu bringen.
Ferdinand war von der Kugel an der linken Schulter getroffen worden. Sie steckte allerdings im Futter seines Überrocks fest und verursachte daher nur eine leichte Prellung. Ferdinand soll den Rettern aufgeregt "Hoits ihn, binds ihn, bringts ihn aufs Rathaus" zugerufen haben, bevor er sich mit dem Grafen Salis zurück in das Kaiserhaus begab. Dort berichtete er selbst der Familie von dem Vorfall und demonstrierte seine Unversehrtheit.
Wie man später bei der Polizei feststellte, handelte es sich beim Täter um den 45jährigen pensionierten Hauptmann der Armee und notorischen Spieler Franz Reindl. Dieser hatte im Laufe der Zeit alle möglichen hohen und höchsten Personen unter fadenscheinigen Vorwänden um Unterstützung angeschnorrt. Als er bei einer Audienz bei Erzherzog Ferdinand wieder um einen größeren Betrag ansuchte, wurde er mit der Begründung abgewiesen, dass er bereits mehrmals Gnadengaben erhalten hätte. Dennoch bekam er einen kleinen Betrag als „Gnadengeschenk“ ausgehändigt. Hauptmann Reindl fühlte sich schlecht behandelt und schwor Rache. Er besorgte sich eine Pistole und ging dann in ein Wirtshaus, wo er die ganze Nacht durchzechte. Tags darauf lauerte er bei der kaiserlichen Villa auf ein Opfer. Die Treibladungen seiner Taschenpistolen waren aber zu gering gewesen um einen tödlichen Schuss abfeuern zu können.
Die Konsequenzen des Attentats
Aus Freude und Dankbarkeit, dass der Thronfolger fast unverletzt das Attentat überlebt hatte, wurden in Baden und im ganzen Land Dankesmessen und Volksfeste gefeiert. Ein solches Freudenfest fand z.B. am 12. August auf der "Hauswiese" im Helenental statt. Bei diesem Anlass sorgte auch Johann Strauß Vater mit seinem Orchester für Stimmung. Unter anderem wurde dabei der "Helenenwalzer" zur Aufführung gebracht.
Reindl wurde nach Wien überführt und musste sich am 1. September 1832 vor einem Militärgericht verantworten. Er wurde zum Tode verurteilt, aber auf Intervention Ferdinands bei seinem Vater zu lebenslanger Haft begnadigt. Die Strafe verbüßte Reindl auf der Festung Munkacs. Nach 15 Jahren Haft starb Reindl und wurde am dortigen Festungsfriedhof begraben.
Das Attentat machte natürlich große Schlagzeilen und war in aller Munde. Die Retter wurden als die großen Helden gefeiert. Da ließ sich ein kleiner Hofbediensteter, der als Laternenanzünder tätig war, hinreißen und brüstete sich damit, dass er es gewesen sei, der den Erzherzog gerettet hätte. Nachdem er als Lügner enttarnt wurde, wurde er mit dem Spitznamen „k.k. Hoflügner“ gestraft.
Die echten Retter des zukünftigen Kaisers wurden reich belohnt. Sie erhielten nicht nur Geldgeschenke. Dr. Rollet erzählte der Presse, dass sein Gärtnerbub, Franz Tauscher, in aller Eile von Bediensteten des Hofes in eine viel zu große Livree gesteckt und dem Wiener Hof als Diener eingegliedert wurde, noch bevor dieser sich hätte dagegen "wehren" können. So habe Franz noch am selben Abend in dem schlechtsitzenden Kleidungsstück vor seinem Vater gestanden. In der einen Hand hielt er einen Beutel Dukaten und in der anderen Hand Banknoten. Dabei vermeldete er schluchzend: "Jetzt soll ich Leiblakai werden!" Er arbeitete dann als Saalkammerdiener bei Karoline Auguste, der Gattin von Franz II./I. und Stiefmutter von Ferdiand. Auch Andreas Keller wurde kurze Zeit später als Leiblakai am Wiener Hof eingestellt.
Bei Erzherzog Ferdinand dürfte das Ereignis traumatische Folgen gehabt haben. Nachdem er längere Zeit frei von epileptischen Anfällen gewesen war, kehrten diese im Dezember 1832, vermutlich als Nachwirkung des Attentats, umso heftiger zurück. Schließlich wurden ihm sogar die Sterbesakramente gereicht und man rechnete mit dem Äußersten. Doch plötzlich trat eine totale Wendung ein. Der kaiserliche Leibarzt Dr. Andreas Joseph FH von Stifft ließ sich lt. Berichten zu folgender Äußerung hinreißen: „Die Ärzte und die Kunst haben hier gar nichts getan. Nur das Sauglück, was dieser Mensch, der König, hat, hat ihn auch diesmal wieder gerettet.“ Von 1835–1848 war Ferdinand dann Kaiser von Österreich. Er dankte zugunsten seines Neffen Franz Joseph ab und zog sich nach Prag zurück. Dort widmete er sich vor allem seinen wirtschaftlichen Interessen und der Gartenarbeit. Von den Böhmen als letzter gekrönter König verehrt, starb er am 29. Juni 1875 in Prag.
1834 wurde beim Bau der ersten Wasserleitung in Baden /Wien eine zentrale Wasserentnahmestelle bei der Pestsäule errichtet. Diese erhielt in Erinnerung an das Attentat den Namen „Ferdinandsbrunnen“. Ferdinand kam nur noch einmal in den Sommermonaten 1834 nach Baden. Auch die restliche Kaiserfamilie mied nach dem Attentat Baden. Damit blieben in Folge auch die restlichen Aristokraten und Künstler aus. Für die Stadt Baden gingen damit die goldenen Jahre zu Ende.
Tod von Andreas Keller und Ehrengrab
Franz Tauscher starb 1869 im Alter von 61 Jahren an Lungentuberkulose. Wo er begraben ist, konnte ich leider nicht ausfindig machen.
Andreas Keller wohnte in der Nußdorfer Straße 43, im 9. Bezirk. Bis zu seiner Pensionierung arbeitete er als Leiblakai am Wiener Hof. Am 28. April 1877 starb er im Alter von 80 Jahren an Altersschwäche. Wo er seine erste Begräbnisstätte hatte, ließ sich leider nicht eruieren.
Aufgrund eines Antrages des Stadtrats Schwer wurden die sterblichen Überreste von Andreas Keller am 20.8.1915 auf den Zentralfriedhof verbracht. Dort wurden sie in einem Ehrengrab der Stadt Wien beigesetzt. Das Grab erhielt auch einen Grabstein mit entsprechender Inschrift. Diese lautet: "Andreas Keller rettete im Vereine mit zwei anderen Männern den Kronprinz Ferdinand, nachmals Kaiser von Österreich, am 9. August 1832 in Baden bei Wien aus Männerhand. Gewidmet von der Stadt Wien". Das Ehrengrab befindet sich in Gruppe 15E/16/21 in der Nähe von Tor 2.
Bildquellen:
- Andreas Keller um 1832, Wien Museum Inv.-Nr. 93296, CC BY 4.0, Foto: Birgit und Peter Kainz
- Kaiserhaus in Baden/Wien: Wiener Zeitung v. 22.4.2010
- Das Attentat auf Kronprinz Ferdinand in Baden bei Wien, 9. August 1832, Balthasar Wigand (Künstler), Wien Museum Inv.-Nr. 93297, CC BY 4.0, Foto: Birgit und Peter Kainz
- Gemälde Attentat: Carl Ludwig Hoffmeister: Bilderuhr, 1833. - © Johann Werfring - Wiener Zeitung
- Gemälde Attentat: Ludwig Beyfuss 1833. © Johann Werfring - Wiener Zeitung
- Ehrengrab von Andreas Keller: © Karin Kiradi
- Leichenschaueintrag von Andreas Keller: familysearch
Quellen:
- Der Wanderer v. 14. August 1832, Seite 1 - Anno ONB
- Wiener Rathauskorrespondenz: Wienbibliothek digital
- Geschichte der Stadt Wien: Wienbibliothek digital
- Gemeinde-Zeitung: unabhängiges politisches Journal, v. 9. Januar 1869, Seite 10 - Anno ONB
- Ferdinand I., Kaiser von Österreich : dessen Leben und Wirken bis zu seiner Thronentsagung ; nach authentischen Quellen: Wienbibliothek digital
- Landeskunde von Niederösterreich
- Diplomarbeit 2013 „Leben und Bedeutung Kaiser Ferdinands I.“ von Julian Gregor Auer - Uni Wien
- Rolletmuseum Baden
- Verstorbenensuche Friedhöfe Wien
- Habsburger-Net
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Othmar E.R. Othi PUSCH sen. (Freitag, 08 Juli 2022 08:11)
Super wie immer - bitte weiter so - lieGrü / Othi
Hedeig (Samstag, 09 Juli 2022 19:49)
Mehr als super! Daaaaaanke!
renate.draxler-weber (Sonntag, 10 Juli 2022 16:44)
Danke für Deine immer wieder sehr interessanten Berichte! LG Renate