Die jüdische Herkunftsfamilie Blumenstock
Salomon Blumenstock (1812-1891) war ein polnischer Kaufmann. Am 11. Jänner 1831 heiratete er in Krakau Gitel Kopelik (1810-1889). Die beiden bekamen 11 Kinder:
- Rachel (*1831)
- Reisl Taube (*1834)
- Totgeburt (1836)
- Leo („Lieber Nathan“) (1838-1897) wurde Prof. f. Gerichtsmedizin in Krakau ⚭ Berta Kraus (1845-1902)
- Philipp (1840-1907) „Pinkus Löbel“ wurde Hutfabrikant ⚭ Anna Damask (1852–1901)
- Berta (1842-1897) ⚮ Abraham /Adolf Bermann (*1841)
- Heinrich (1845-1902) Jurist und Politiker ⚮ Maria Adler (1855-1904)
- Faigla (1846-1847)
- Fabian (1848-1905) ⚮ Dorothea Ornstein (1861-1931)
- Amalia (1850-1932) ⚮ Leib Bernard Gruder (1839-1900)
- Jakob (1853-1932) ⚮ Marie Cacile Natanson (1863-1892)
Dr. Heinrich von Halban (1845-1902)
Heinrich Blumenstock kam am 25. April 1845 als 7. Kind der Familie Blumenstock in Krakau zur Welt. Dort studierte er auch Jura. Ca. 1870 kam er nach Wien, wo er sich dem Journalismus widmete. Sein Bruder Philipp war ein angesehener Hutfabrikant in Wien, aber auch im Ausland und k.u.k. Hoflieferant.
Beamtenlaufbahn
Zu Beginn seiner Karriere konvertierte Heinrich zum Christentum. Vorerst wurde er Sektionsleiter und Bürodirektor des Abgeordnetenhauses des österreichischen Reichsrates. Als Alfred Potocki 1870 Präsident des Ministerrates wurde, holte er Heinrich Blumenstock ins Pressebüro. Dort vertrat Heinrich in den polnischen Zeitungen die Politik der Regierung. Große Bekanntheit erlangte er unter dem Ministerpräsidenten Eduard Graf Taaffe. Dieser machte ihn 1885 zum Hofrat und ernannte ihn ein Jahr später
zum Chef des Reichsrathschen Amtes. Heinrich hatte die Aufgabe, die Regierung bei ihren Geschäften mit den Parlamentsparteien zu vertreten.
1890 erhob Graf Taafe ihn als „Ritter Blumenstock von Halban" in den Adelsstand. Ab 1893 ließ Heinrich den Namensteil „Blumenstock“ weg und nannte sich nur mehr „Heinrich Ritter von Halban“. Auch der Rest der Familie Blumenstock änderte ihren Namen auf "Halban". In weiterer Folge diente Heinrich unter der Regierung von Kasimir Badeni. Nach dessen Rücktritt 1897 verlor Heinrich zusehens an Beliebtheit und zog sich 1898, auch wegen einer Krankheit, aus dem öffentlichen Leben zurück.
Heinrichs Familie, Tod und letzte Ruhestätte
Am 5. August 1873 heiratete Heinrich Maria (Marie) Adler (1855-1904). Sie stammte ebenfalls aus einer jüdischen Kaufmannsfamilie und war die Schwester des Gründers der sozialdemokratischen Arbeiterpartei - Viktor Adler. Maries Neffe, Dr. Friedrich Adler, ebenfalls sozialdemokratischer Politiker, verübte aus Protest gegen die Kriegspolitik der Regierung 1916 ein Attentat auf den Ministerpräsidenten Karl Graf Stürgkh.
Maria brachte eine beachtliche Mitgift in die Ehe mit. Heinrich und Maria hatten 4 Kinder:
- Rudolf (1874-1940) ⚮ Myrrha Gianelia (1886-1962), war Ministerialrat im Ackerbauministerium
- Hans (1877-1947) ⚭ Zora von Flalka (1883-1928) war Chemiker
- Leo (*1880-1925) war BeamterMinisterialrat
- Lora († 1928)
Gewohnt hat die Familie in Wien, am Neuen Markt 9 und dann auch am Reichsrathsplatz 2 (heute Schmerlingplatz).
Heinrich von Halban starb am 13. August 1902 nach schwerer Krankheit im Alter von nur 58 Jahren in Bad Gastein. Von dort wurde sein Leichnam nach Wien überstellt und am 16. August am Zentralfriedhof in der Familiengruft bestattet. Das Grab befindet sich in der Gruppe 55A/27, in der Nähe der Friedhofskirche zum Hl. Borromäus und ist sowohl von Tor 11, als auch von Tor 2 aus bequem zu erreichen. In dieser Gruft fand auch Heinrichs Gattin Maria, die am 23. November 1904 starb, ihre letzte Ruhestätte. Auch deren Kinder Rudolf, Leo und Lora wurden hier beigesetzt. Aller Wahrscheinlichkeit nach ist hier auch die Urne von Zora von Halban, der Gattin von Dr. Hans von Halban bestattet worden. Sie starb am 1. August 1928 während eines Aufenthaltes in Winterthur nach kurzer Krankheit im Alter von nur 45 Jahren.
Leider ist das Grabnutzungsrecht bereits 2018 abgelaufen, so dass die Gruft wohl nicht mehr lange existieren wird.
Im Rahmen meiner Recherche hätte ich das Grab beinahe nicht gefunden. Ein herzliches Dankeschön geht an den netten Arbeiter am Friedhof, der mir geholfen hat, das total zugewachsene Grab soweit vom Efeu zu befreien, dass die Namen wieder einigermaßen sichtbar wurden.
Der Sohn - Dr. Hans von Halban (1877-1947)
Dr. Hans von Halban (1877-1947) studierte Maschinenbau an der Technischen Hochschule in Wien und im Anschluss Chemie an der Technischen Hochschule Zürich. Nach seinem Wehrdienst in Wien ging er an die Universität Leipzig. Dort habilitierte er 1909 mit seiner Arbeit „Ueber den Einfluss des Lösungsmittels auf die Reaktionsgeschwindigkeit“. Von der Universität Würzburg erhielt er den Auftrag zur Gründung einer physikalisch-chemischen Abteilung. Seine Forschung befasste sich mit Dissoziation in Elektrolyten und Reaktionskinetik. Für die genaue Messung von Konzentrationen erfand er optische Methoden.
Während des Ersten Weltkriegs diente er als k.u.k.-Kriegsfreiwilliger bis zu einer schweren Erkrankung 1916. Anschließend war er bis 1918 im Wissenschaftlichen Komitee für Kriegswirtschaft in Wien tätig. Da ihm bis 1923 in Würzburg keine ordentliche Professur angeboten wurde, bemühte er sich um eine Tätigkeit bei der Metallgesellschaft in Frankfurt/Main. 1924 erhielt er dort die Leitung des Metallkundlichen Laboratoriums. Am 1. August 1928 starb seine Frau Zora (geb. von Flalka) während eines Aufenthaltes in Winterthur nach kurzer Krankheit im Alter von 45 Jahren.
Im Umfeld der Bunsen-Tagung im Mai 1928 knüpfte Dr. Hans von Halban wieder Kontakte zu Universitäten. Im Wintersemester 1930/31 holte man ihn für den Lehrstuhl für Physikalische Chemie an die Universität Zürich. Er starb am 7. Oktober 1947 in Zürich.
Der Enkel - Dr. Hans (Heinrich) von Halban Jun. (1908-1964)
Dr. Hans Heinrich von Halban Jun. war der einzige Sohn von Dr. Hans von Halban und damit Enkel von Heinrich und Maria von Halban. Er promovierte an der Universität Zürich, wo sein Vater einen Lehrstuhl hatte und wurde ein bedeutender Physiker. Seine Abschlussarbeit beschäftigte sich mit „Dampfdruckabnormitäten bei kapillaraktiven Amalgamen“. Danach arbeitete er mehrere Jahre mit dem Österreicher Otto Frisch in Kopenhagen. Dort entdeckten die beiden, dass Schweres Wasser (D2O) im Vergleich zu gewöhnlichem Wasser (H2O) einen sehr geringen Absorptionsquerschnitt für Neutronen hat. Für seine Flucht nach Großbritannien erhielt Dr. Hans von Halban vom französischen Armeeminister einen Spezialauftrag. Er sollte sicherzustellen, dass das Schwere Wasser und das Uran nicht in deutsche Hände gelangen. Dr. Hans von Halban transportierte 185 kg Schweres Wasser im Kofferraum seines Autos zunächst nach Bordeaux und von dort mit einem Kohlefrachter weiter in Küstennähe. Schließlich wurde es mit einem britischen U-Boot nach Großbritannien gebracht. Die bewegte Menge entsprach einem Großteil der damaligen Weltvorräte.
1938 folgte er der Einladung von Frédéric Joliot-Curie an das Collège de France in Paris, um über Moderierungsprobleme beim Uranzerfall zu forschen. 1939 übergaben Dr. Hans von Halban Jun., Joliot-Curie und Kowarski der französichen Akademie der Wissenschaften einen verschlossenen Umschlag, in dem sich brandgefährliche Unterlagen befanden. Sie beschrieben die Möglichkeit, mit Hilfe von Uran eine nukleare Kettenreaktion auszulösen und enthielt die theoretischen Grundlagen für die militärische und zivile Nutzung der Kernenrgie.
Nach der deutschen Besetzung Frankreichs flüchtete Dr. Hans von Halban zusammen mit Lew Kowarski nach Großbritannien. In London setzte er auf Einladung von Winston Churchill seine kernphysikalischen Forschungen an der Universität Cambridge fort. 1942 schickte man ihn als Laborleiter nach Montreal. Wegen seines gefährlichen Wissens, bildete er aber ein Sicherheitsrisiko. Er durfte deshalb nach Kriegsende Nordamerika ein Jahr lang nicht verlassen und dort auch nicht arbeiten. Spionageaktionen der UdSSR bedrohten weltweit die Sicherheit des amerikanischen Atomwaffenprogramms. In Großbritannien wurde Dr. Hans von Halban schließlich Leiter des Clarendon Laboratory an der Universität Oxford. 1955 holte ihn der französische Premierministers Pierre Mendès France nach Orsay, wo er einen Linearbeschleuniger aufbaute. Bis 1961 leitete er diese Anlage. Dann ging er aus gesundheitlichen Gründen in den vorzeitigen Ruhestand.
Dr. Hans von Halban Jun. war dreimal verheiratet und hatte 3 Kinder aus erster und zweiter Ehe. Seine letzten drei Lebensjahre verbrachte er in Paris und in Crans-sur-Sierre in der Schweiz. Er starb am 28. November 1964 an den Folgen einer Herzoperation und wurde in Larchant beerdigt.
2007 gab die Royal Society bekannt, dass fünf versiegelte Umschläge mit Forschungsergebnissen von Dr. Hans von Halban Jun. und Kowarski geöffnet worden seien. Diese Arbeitsergebnisse waren der Royal Society 1940 von James Chadwick mit der Bitte übergeben worden, diese nicht zu veröffentlichen. Sie enthielten Methoden, aus Uran Plutonium zu erzeugen und nukleare Kettenreaktionen zu stabilisieren.
Bildquellen:
- Heinrich Blumenstock: Sammlung Wienmuseum
- Heinrich Ritter von Halban: ONB Digital
- Bilder vom Grab: © Karin Kiradi
- Parten: Geni
- Dr. Hans von Halban: Geni
- Dr. Hans Heinrich von Halban Jun.: Geni
Quellen:
- Jewish Encyclopedia
- Rodovid
- Geni
- Second Wiki
- Familie Blumenstock - Genealogy
- Schweizer Eliten
- Historisches Lexikon der Schweiz
- Österreichische Zeitschrift für Verwaltung v. 23. Oktober 1913, Seite 4: Anno ONB
- Brioni Insel-Zeitung, v. 27. August 1911, Seite 8: Anno ONB
- Sport und Salon v. 28. Juli 1918, Seite 5: Anno ONB
- Verstorbenensuche Friedhöfe Wien
- Lehmann
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