Friedrich Adler war der Sohn des bedeutenden Politikers Viktor Adler. Selbst war er ebenfalls Politiker und ist vor allem durch sein Attentat auf Dr. Karl Graf Stürghk bekannt.
Herkunft und Jugend
Friedrich (Fritz) kam am 9. Juli 1879 als erstes von 3 Kindern von Viktor Adler und Emma Braun in Wien zur Welt. Dort besuchte er auch das Gymnasium, welches er 1897 mit der Matura abschloss. Um den kränklichen Jugendlichen von der Politik fernzuhalten, schickte ihn sein Vater zum Studium in die Schweiz. 1897 bis 1905 studierte Friedrich Chemie, Mathematik und Physik an der Universität Zürich, wo er 1903 zum Doktor der Philosophie promovierte. Daneben war er allerdings auch politisch aktiv: 1897 wurde er Mitglied des „Verbands österreichischer Sozialdemokraten in der Schweiz“. Ab 1898 arbeitete er am Hauptorgan der schweizerischen Sozialdemokratie „Volksrecht“ mit und 1901 bis 1905 war er Obmann des „Verbandes der Internationalen Arbeitervereine in der Schweiz“.
Ehe und Familie
1903 heiratete er die Studentin "Kathia“ Katarina Jakovlevna Germanišskaja (1879–1969). Mit ihr hatte er drei Kinder:
- Johanna Alice Adler, verheiratete Waeger (*1903)
- Emma Frieda Adler (*1905)
- Felix Adler (1911–1979) wurde Hochschullehrer am Carnegie Institut in Pittsburgh
1905 bis 1907 arbeitete Friedrich als wissenschaftlicher Mitarbeiter des Deutschen Museums in München. Danach habilitierte er an der Universität Zürich für Physik und lehrte dort bis 1911 als Privatdozent. 1909 bewarb er sich für die Stelle eines außerordentlichen Professors für theoretische Physik an der Universität Zürich. Diesen Posten erhielt dann allerdings sein Freund Albert Einstein, Von 1910 bis 1911 war Friedrich Chefredakteur der sozialdemokratischen Tageszeitung „Volksrecht“ in Zürich. 1911 kehrte Friedrich nach Wien zurück, wo er mit seiner Familie im 5. Bezirk, in der Sonnenhofgasse 6 wohnte. Hier wurde er der 4. Parteisekretär der „Sozialdemokratischen Arbeiterpartei Deutschösterreichs“ (SDAP). Diesen Posten bekleidete er bis 1914. Außerdem fungierte er als Chefredakteur der neu gegründeten Zeitung „Das Volk“. Ab 1913 war er Mitherausgeber der Zeitschrift „Der Kampf“.
Das Attentat
Im Gegensatz zu seinem Vater und dem Großteil der Bevölkerung, war Friedrich ein ausgesprochener Kriegsgegner. Aus Protest
gegen die Kriegshaltung seiner Partei legte er im August 1914 alle Parteifunktionen zurück. Aus dem Kriegsdienst, zu dem er eingezogen wurde, entließ man ihn krankheitshalber. Bereits seit 1915
fasste Friedrich mehrmals den Plan eines Attentats. Die Zielpersonen wechselten dabei von Zeit zu Zeit. Anfang 1916 gründete Friedrich den »Verein Karl Marx«, in welchem er versuchte,
die Parteilinke zu bündeln. Als Ministerpräsident Dr. Karl Graf Stürgkh in Vorbereitung auf den 1. Weltkrieg das Parlament auflöste und eine absolutistische Diktatur einführte, herrschten
plötzlich wieder Nationalismus und Gewalt.
Friedrich betrachtete Stürgkh als Hauptverantwortlichen für die Kriegspolitik. Damit wurde Stürgkh das Ziel von Friedrichs Attentatsplänen. Friedrich, der ein ungezügeltes Temperament hatte, wollte mit dem Attentat die Linke der Partei aufrütteln, Taten zu setzen. Am Vortag der Tat beschimpfte ihn Dr. Renner in einer Parteisitzung noch als "Schädling der Partei".
Am Samstag, den 21. Oktober 1916 erledigte Friedrich im Laufe des Vormittags wie üblich seine Geschäfte im Sekretariat der sozialdemokratischen Partei. Seiner Mutter sagte er telefonisch das gemeinsame Mittagessen ab. Um seine Haushälterin zu schützen, nahm er ihr noch den Schlüssel zur Wohnung ab. Um etwa 1 Uhr fuhr er mit dann der Straßenbahn zum Neuen Markt, um den geplanten Anschlag durchzuführen. Dass er damit auch sein eigenes Leben riskierte, war ihm völlig bewusst.
Im Restaurant des Hotels „Meißl & Schadn“ (1. Bezirk, Neuer Markt 3) nahm er im Großen Speisesaal im 1. Stock 2 Tische neben dem von Dr. Karl Graf Stürgk Platz und nahm ein 3gängiges Mittagessen ein. Er wartete, bis die meisten Gäste gegangen waren, um sie nicht zu gefährden. Er wartete auch noch bis eine Dame am Nachbartisch des Grafen das Restaurant verließ, um sie nicht mit einem eventuellen Querschläger zu treffen. Später bedankte sich diese Dame dafür in einem netten Brief, den sie Friedrich ins Gefängnis schickte.
Um 14:30 Uhr schritt Friedrich schließlich zur Tat. Aus kurzer Entfernung feuerte er mit seinem Revolver 4 Schüsse auf das Opfers ab. Dabei hat er angeblich „Nieder mit dem Absolutismus!“ und „Wir wollen den Frieden!“ gerufen. Ein Schuss streifte Stürgkhs Schulter, die anderen 3 trafen ihn in der Stirn bzw. im Gesicht und waren sofort tödlich. Friedrich verließ nach seiner Tat den Raum. Der Oberkellner Gustav Fruhmann. versuchte ihn festzuhalten und ihm die Waffe zu entreißen. Dabei kamen ihm Graf Toggenburg und Baron Ährenthal zu Hilfe. Bei diesem Handgemenge löste sich ein weiterer Schuss und verletzte den Oberkellner leicht. Die Kugel drang allerdings in den Oberschenkel von Baron Ährenthal ein und blieb dort stecken. Ein Offizier, der gerade die Stiege heraufkam, zog seinen Säbel und gemeinsam gelang es ihnen schließlich, Friedrich Adler zu überwältigen und der Polizei zu übergeben.
Prozess und Haft
Am 18. und 19. Mai 1917 fand der Prozess vor dem Wiener Ausnahmegericht in öffentlicher Verhandlung statt. Friedrich nutzte den Gerichtssaal um mit der Kriegspolitik der Regierung und seiner eigenen Partei abzurechnen. In seiner Verteidigungsrede nannte er Dr. Renner „Lügner der Sozialdemokratie“ und auch seinen Vater Viktor Adler feindete er an. Es gelang ihm, seine Tat als eine Art Notwehrmaßnahme gegen den Verfassungsbruch darzustellen. Er meinte: "Ich bin schuldig in demselben Maße wie jeder Offizier , der im Krieg getötet oder Auftrag zum Töten gegeben hat. Um nichts weniger , aber auch um nichts mehr." Die Ausführungen Friedrichs führten in der Bevölkerung zu einem Umdenken und einer Einstellungsänderung gegenüber der Regierung und dem Krieg. Dennoch wurde der Angeklagte zum Tode verurteilt. Schon bald darauf wurde er aber von Kaiser Karl I. zu 18 Jahren schweren Kerker begnadigt. Als politischer Häftling wurde er mit privilegiertem Status in die Haftanstalt Stein eingeliefert. In der Haft vollendete Friedrich sein Hauptwerk »Ernst Machs Überwindung des mechanischen Materialismus«. Nach dem Zusammenbruch der Monarchie wurde Friedrich 1918 schließlich amnestiert und freigelassen. Er war also nicht einmal 2 Jahre inhaftiert.
Nachkriegsjahre und Exil
Als Friedrich am 1. November 1918 aus dem Gefängnis entlassen wurde, war er als konsequentester Kriegsgegner der populärste Mann der Sozialdemokraten. Er wurde zum Vorsitzenden der Wiener Arbeiterräte gewählt. Gemeinsam mit Otto Bauer wandte er sich in dieser Schlüsselfunktion entschieden gegen die Errichtung einer österreichischen Räterepublik. Dadurch hatte er einen entscheidenden Anteil daran, dass die Sozialdemokratie die Bewegung der Arbeiterklasse blieb und linksradikale Strömungen in Österreich keinen bestimmenden Einfluss erlangen konnten. Friedrich betätigte sich weiters als Redakteur der Zeitschrift »Der Kampf«. Das Angebot, die Führung der neu gegründeten »Kommunistischen Partei Österreichs« (KPÖ) zu übernehmen, lehnte er ab.
Im Februar 1919 nahm Friedrich als Delegierter der »Sozialdemokratischen Arbeiterpartei« an der internationalen sozialistischen Konferenz in Bern teil. Ein Versuch alle Internationalen zu vereinigen scheiterte. Friedrich war dann Mitbegründer und Sekretär der neu gegründeten »Internationalen Arbeitsgemeinschaft sozialistischer Parteien« („Internationale 2½“). Bis 1927 nahm er diesen Posten von London aus wahr, anschließend in Zürich und bis 1939 schließlich in Brüssel.
Nach dem »Anschluss« Österreichs 1938 nahm Friedrich an der Tagung der österreichischen Sozialisten in Brüssel teil. Dort einigten sich die führenden Vertreter der »Sozialdemokratischen Arbeiterpartei Österreichs« und der »Revolutionären Sozialisten Österreichs« (RSÖ) auf eine gesamtdeutsche Revolution und verwarfen eine Wiederherstellung der Selbständigkeit Österreichs. Nach dem Tod von Otto Bauer übernahm er die Herausgabe der Zeitschrift »Der sozialistische Kampf«. Unter dem Pseudonym "Fritz Valentin" arbeitete er auch am Inhalt mit. Im Mai 1939 trat Friedrich nach politischen Meinungsverschiedenheiten als Sekretär der »Sozialistischen Arbeiter-Internationale« zurück.
Unmittelbar vor Einmarsch der Deutschen Wehrmacht in Belgien verließ Friedrich im Frühjahr 1940 Brüssel und floh nach Frankreich. Obwohl er bereits als Kind mit seinem Vater und seinen Geschwistern vom Judentum zum Christentum konvertiert war, wurde er wegen seiner jüdischen Abstammung verfolgt. Nach der französischen Kapitulation setzte er sich im Sommer mit einem auf »Herzl« lautenden Pass über Spanien nach Lissabon ab. Von dort aus flüchtete er im Oktober 1940 mit einem Notvisum in die USA.
In New York gründete er die Flüchtlingsorganisation »Labor Aid Project«, welche ihre Tätigkeit jedoch bald wieder einstellen musste. Nach dem Kriegseintritt der USA wurde auch die »Auslandsvertretung Österreichischer Sozialisten« aufgelöst. Anfang 1942 gründete Friedrich in den USA das »Austrian Labor Committee«, dessen Obmann er bis 1944 war. Zugleich wurde er Redakteur der »Austrian Labor Information«. Friedrich engagierte sich auch intensiv gegen die Versuche, österreichische Exilvertretungen und ein österreichisches Bataillon innerhalb der US-Streitkräfte einzurichten. Forciert wurden diese Bemühungen vor allem von Otto Habsburg-Lothringen. Nach politischen Differenzen trat Friedrich im April 1944 als Obmann des »Austrian Labor Committee« zurück.
Im Frühjahr 1946 kehrte Friedrich nach Europa zurück und ließ sich in Zürich nieder. Aus Protest gegen die von der SPÖ mitgetragene eigenstaatliche Wiederherstellung Österreichs zog er sich schließlich von jeder politischen Aktivität zurück. Er widmete sich dann hauptsächlich wissenschaftlichen Studien.
Tod und letzte Ruhestätte
Am 2. Jänner 1960 starb Friedrich Adler relativ unbeachtet in seiner Züricher Wahlheimat. Erst Monate später wurden seine sterblichen Überreste nach Wien überführt und dort am 21. Mai 1960 im ehrenhalber gewidmeten Grab seines Vaters am Zentralfriedhof beigesetzt. Das Grabmal befindet sich in Gruppe 24/Reihe 5/1, in der Nähe von Tor 3.
Während des Krieges hatte Friedrich diverse Familienpapiere, wie Aufzeichnungen und Briefe seiner Mutter Emma Adler, in einem Keller in Frankreich eingemauert. Der Nachlass Emma Adlers wurde nach dem Tod ihres Sohnes nach Wien transferiert. Neun Kartons voll mit Korrespondenzen von Emma, Viktor und Friedrich Adler mit Anna Pernerstorfer, Adelheid Popp und diversen anderen Zeitgenossen befinden sich seither im „Verein für Geschichte der Arbeiterbewegung“.
Bildquellen:
- Friedrich Adler jung: ONB digital
- Friedrich Adler mit Familie: Geni
- Meißl & Schaden: Wikipedia
- Attentat: Illustrierte Kronen Zeitung v. 22. Oktober 1916, Seite 1 - Anno ONB
- Prozess: Illustrierte Kronen Zeitung v. 19. Mai 1917, Seite 1 - Anno ONB
- Fotos vom Grab: © Karin Kiradi
Quellen:
- Wikipedia
- Lexikon der politischen Strafprozesse
- Illustrierte Kronen Zeitung v. 23. Oktober 1916, Seite 8-9, Anno ONB
- Martin Balluch: 100 Jahre Attentat
- Das rote Wien
-
Buch: „Sozialdemokratie in Österreich - Von den Anfängen der Arbeiterbewegung zur modernen Sozialdemokratie“ von Günther Sandner
-
„Das große Buch der Österreicher“ von Kremayr und Scheriau
-
Erlafthal-Bote, v. 16. Januar 1960, Seite 2 - Anno ONB
- Seminararbeit v. 2004 - Grin
- Geni
- "Friedrich Adler vor dem Ausnahmegericht" - nach dem stenographischen Protokoll - verlegt bei Paul Cassirer / Berlin 1919
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Gerald E. (Sonntag, 22 Mai 2022 18:01)
Wie immer wirfst Du ungemein interessante Schlaglichter auf die Geschichte Österreichs - danke!
Edgar Werner (Sonntag, 29 Mai 2022 22:54)
Eine Anmerkung zu folgendem Text: "Obwohl er bereits als Kind mit seinem Vater und seinen Geschwistern vom Judentum zum Christentum konvertiert war, wurde er wegen seiner jüdischen Abstammung verfolgt."
Das "obwohl" ist im Rahmen der Judenverfolung der Nazis überhaupt kein Thema gewesen. Die Nazis argumentierten und handelten als Rassisten. Die Konversion weg von der jüdischen Glaubensgemeinschaft z.B. zu Katholizismus änderte nichts an ihrer Rechtfertigung der Verfolgung dieser Personen. Von der katholischen Kirche ist mir bekannt, dass sie jüdische Konvertiten als "richtige" Katholiken anerkannte. Ensprechend war das Entsetzen von Pius XI. darüber, dass der Nazi-Antisemitismus rassistisch begründet war. Konsequenterweise war ja die katholische Kirche in der Pflicht ihre Glaubensmitglieder zu schützen, ganz gleich, welcher Herkunft sie gewesen sein mögen. Sie schreiben ja zurecht in dem von mir zitierten Satz: "... er wegen seiner jüdischen Abstammung verfolgt."