Viktor Adler war Arzt, Journalist, österreichischer Politiker, sowie Begründer der Sozialdemokratischen Arbeiterpartei.
Jugend und Familie
Viktor Adler stammte aus einer jüdischen Kaufmannsfamilie. Er war das älteste von fünf Kindern von Samuel Salomon Adler (geb. 1823) und dessen Frau Johanna Herzl (1826–1910). Viktor erblickte am 24.6.1852 in Prag das Licht der Welt. Seine Geschwister waren:
• Sigmund (1853-1920)
• Marie (1855-1904) ⚭ Heinrich Ritter v. Halban (1845-1902)
• Josef (1857-1872)
• Heinrich (1860-1937) wurde Agronom und Journalist
1855 übersiedelte die Familie nach Wien, wo sie im 2. Bezirk wohnte. Der Vater konnte durch Realitätengeschäfte ein beträchtliches Vermögen erwerben.
Viktor war ein schmächtiges, kleines Kind und stotterte. Er absolvierte das katholische Schottengymnasium und studierte dann an der Universität Wien Chemie. Während dieser Zeit wurde er auf Initiative seines Studienkollegen Engelbert Pernerstorfer Mitglied der deutschnationalen Burschenschaft Arminia. Diese Verbindung wurde aufgrund ihrer Mützenfarbe „braune Arminia“ genannt.
Privates
1884 schloss Viktor sein Medizinstudium ab. Er praktizierte dann als Assistenzarzt von Theodor Meynert (1833–1892) an der Psychiatrischen Klinik des Allgemeinen Krankenhauses.
1878 lernte er Emma Braun (1858–1935) kennen, die er bald darauf, am
3. September 1878, heiratete. Die beiden bekamen 3 Kinder:
• Friedrich (1879 – 1960)
• Maria (1881 – 1931)
• Karl (1885 – 1942)
Viktor betrieb ab 1882 eine Privatpraxis, in der er auch als Armenarzt tätig war. Ab 1883 arbeitete er auch als Nervenarzt. Kurz darauf begann er, sich auch journalistisch zu betätigen. 1882–1889 wohnte und praktizierte er in einem geerbten Haus in der Berggasse 19 im 9. Bezirk. An dieser Adresse wohnte später Sigmund Freud.
Zum engen Freundeskreis des Ehepaars zählten Engelbert Pernerstorfer, Gustav Mahler und Hermann Bahr. Viktor und seine Kinder konvertierten zum Protestantismus. Trotzdem hatten sie mit antisemitischen Anfeindungen zu kämpfen. Diese Haltung breitete sich zunehmend auch unter Viktors Freunden aus.
So erfolgreich Viktor für die Arbeiterbewegung tätig war, im familiären Bereich versagte er. Die unterschiedlichen politischen Einstellungen führten zur Spaltung der Familie. Und obwohl er Arzt war, konnte er weder seiner Tochter, noch seiner Frau in ihren Erkrankungen helfen.
Emma Adler geb. Braun (1858-1935)
Emma kam am 20. Mai 1858 als Tochter von Ignaz Braun (1825-1905) und seiner Gattin Ida Neubrunn in Debrecen zur Welt. Emma hatte 5 Brüder.
- Heinrich (1854-1927) wurde in Deutschland sozialdemokratischer Publizist und Politiker und sorgte mit seinen Heiraten und Scheidungen für Skandale.
- Anton (1856-1925)
- Adolf (1862-1929) wurde ein österreichisch-deutscher Journalist und Politiker der SPD.
- Ludwig (*1865)
- Leopold (*1868)
Emmas Familie zählte zum liberalen jüdischen Bürgertum. Anfangs lebten sie an unterschiedlichen Orten der Habsburgermonarchie, je nachdem, wo der Vater als Eisenbahningenieur gerade einen Auftrag erhielt. Emma erhielt durch Privatunterricht eine umfassende Ausbildung in Sprachen wie Englisch, Französisch, Italienisch sowie in Musik und Literatur. Gleichzeitig mit den groß einsetzenden Migrationsströmen übersiedelte die Familie Braun in den 1870er-Jahren nach Wien. Zunächst wohnten sie in der Leopoldstadt und nach einem gesellschaftlichen Aufstieg dann am Schwarzenbergplatz. Die jungen Brauns führten dort eine Art Salon, wo sich an Samstagen regelmäßig Studienkollegen und Freunde trafen.
Als einziges Mädchen wurde Emma von ihren Brüdern umsorgt und verwöhnt. Ihr ältester Bruder Heinrich fühlte sich auch für die Wahl eines geeigneten Ehemanns für die heiratsfähige Schwester verantwortlich. Seine Favoriten hießen Friedrich Nietzsche und Viktor Adler. 1878 machte er Emma mit dem jungen Arzt Viktor Adler bekannt. Nach einer kurzen Verlobungszeit folgte die Hochzeit. Ein Jahr später wurde Sohn Friedrich geboren.
Emma arbeitete als Übersetzerin und Fremdsprachenkorrespondentin und war auch für die „Gleichheit“ und später für die „Arbeiter-Zeitung“ bzw. die „ArbeiterInnen-Zeitung“ als Journalistin und Übersetzerin tätig. Sie befasste sich intensiv mit Literatur. 1887 veröffentlichte sie ihr erstes Werk „Goethe und Frau von Stein“.
Durch ihre Brüder und ihren Ehemann Viktor lernte Emma sozialistische Ideen kennen. Bald war sie davon so überzeugt, dass sie sich ab 1886 selbst für die sozialdemokratische Bewegung einsetzte. Sie war eine der Mitbegründerinnen der österreichischen Arbeiterinnenbewegung. Sie hielt regelmäßig Vorträge in Arbeiterbildungsvereinen, wo sie auch Sprachunterricht erteilte. Eine ihrer Schülerinnen war Adelheid Popp, die auch eine enge Vertraute von ihr wurde. Aber im Gegensatz zu Adelheid blieb Emma parteipolitisch immer eher im Hintergrund. Emma war eine der ersten Frauen, die die Frauengleichstellung thematisierten.
Das Ehepaar Adler verbrachte seine Freizeit gerne in Nussdorf am Attersee. 1887 fertigte der akademische Maler Emanuel Oberhauser für die kleine Kirche des Ortes ein Marienbild an. Emma stand für das Bild Modell. In ihren Lebenserinnerungen berichtete Emma von dieser Episode: "Als das fertige Bild den Altar schmückte, waren die Bauern entrüstet und riefen: "Des is ja d'Adlerin und nit an eichtel de Mutter Gottes!" 46 Jahre danach hatten sich die Gemüter beruhigt. Doch da schlug der Blitz in die Kirche ein und verbrannte alles. Nur das Marienbild blieb unbeschadet. So avancierte das Bild durch dieses Ereignis doch noch zum wundertätigen Gnadenbild."
Viktors publizistische Tätigkeit, sowie das engagierte Eintreten des Ehepaars für politisch Verfolgte, endete in finanziellen Streitigkeiten mit der Familie. Emmas verarmten zudem schlagartig und Emmas Mitgift, ein Gut in Ungarn, wurde unter den Gläubigern aufgeteilt. Emma und Viktor mussten innerhalb kürzester Zeit in eine kleinere Wohnung im vierten Stock einer Wiener Mietskaserne in der Blümelgasse im 6. Bezirk ziehen. Belastend war für Emma auch die Tatsache, dass ihr Mann sich und die drei Kinder taufen ließ und zum Protestantismus konvertierte. Diesen Schritt machte Emma aus Achtung vor ihren Eltern nie. Diese Situation, der zunehmende politische Druck, Hausdurchsuchungen, die Verhaftung ihres Mannes, sowie ihre Mehrfachbelastung als Mutter, Autorin und Förderin ihres Ehemannes, verkraftete Emma nicht. Sie erlitt 1891 einen psychischen Zusammenbruch. Emma wurde monatelang mit Opium behandelt. Erst nach 3 Jahren, die sie hauptsächlich in Kur- und Nervenheilanstalten verbrachte, war sie wieder voller Tatendrang. Die finanziellen Schwierigkeiten begleiteten Emma aber ihr Leben lang weiter.
Auch die Sorge um ihre Kinder machten Emma schwer zu schaffen. Um 1900 stellte sich heraus, dass ihre Tochter Maria eine unheilbare Geisteskrankheit hatte. Ab ihrem 20. Lebensjahr war sie deshalb in der Pflegeanstalt für Geistes- und Nervenkranke am Steinhof interniert. 1931 starb sie auch dort. Emmas jüngster Sohn Karl schaffte es zeitlebens nicht, in der bürgerlichen Welt Fuß zu fassen. Auch um das Leben ihres
Erstgeborenen, Dr. Friedrich Adler, musste sie bangen, als er wegen des Mordes an Karl Stürgkh zum Tode verurteilt wurde.
1906 brachte Emma ihr Hauptwerk „die berühmten Frauen der französischen Revolution“ heraus. 1907 erschien ihre "Biografie über Jane Welsh Carlyle", der Ehefrau des englischen Historikers und Philosophen Thomas Carlyle.
Nach dem Tod ihres Gatten 1918 stürzte Emma erneut in eine tiefe Depression, die in einem Selbstmordversuch gipfelte. Wieder folgten jahrelange ärztliche Betreuung und Sanatoriumsaufenthalte. 1925 holte sie ihr Sohn Friedrich zu sich nach Zürich. Dort schöpfte Emma neuen Lebensmut und arbeitete an einer biographischen Arbeit über ihren verstorbenen Ehemann. Das Erscheinen des Buches erlebte sie allerdings nicht mehr. Das Buch erschien erst 1968 unter dem Titel "Victor Adler im Spiegel seiner Zeitgenossen".
Emma Adler starb am 23. Feber 1935 im Alter von 77 Jahren in Zürich.
Viktors erste politische Aktivitäten
Viktor war in der national gesinnten Bewegung Georg von Schönerers aktiv. Gemeinsam mit Schönerer, dem Journalist Engelbert Pernerstorfer und dem Historiker und Publizist Heinrich Friedjung war Viktor auch an der Ausarbeitung des "Linzer Programms" beteiligt. Es war dies das Grundsatzpapier des österreichischen Deutschnationalismus. Das Dokument stand unter dem Motto „nicht liberal, nicht klerikal, sondern national“. Das Gesellschaftssystem sollte radikal umgebaut werden. Gegliedert in acht Teilbereiche wurden die Aufgaben der Sozialdemokratie definiert. Darin forderten sie die staatsrechtliche und wirtschaftliche Entflechtung der verschiedenen Völker. Weiters verlangten sie die engere Anbindung der deutschsprachigen Gebiete an das Deutsche Reich, sowie Pressefreiheit, Versammlungsfreiheit und allgemeine Demokratisierung. Außerdem wollten sie einen Acht-Stundentag und in der Frauenpolitik eine Gleichstellung der Geschlechter und die Errichtung öffentlicher Tagesheimstätten für Kinder. Eine weitere Forderung waren die straffreie und kostenlose Durchführung von Schwangerschaftsabbrüchen, die kostenfreie Abgabe von Verhütungsmitteln, unentgeltlicher Unterricht, eine Begrenzung der Klassenschülerhöchstzahl und die Einheitsschule für alle 6 bis 14-jährigen, sowie die Betrachtung der Religion als Privatsache jedes Einzelnen.
Gründer der Sozialdemokratischen Arbeiterpartei
Nach dem Scheitern des Linzer Programms kehrte Viktor der Deutschnationalen Bewegung den Rücken. Ein wesentlicher Grund war aber vor allem der zunehmende Antisemitismus. Viktor schloss sich dann den Sozialdemokraten an. In Österreich hatten sich nach 1848 zwei Strömungen in der Arbeiterbewegung gebildet. Eine sympathisierte mit Ferdinand Lassalle und wurde von Heinrich Oberwinder und dem Verein „Volksstimme“ repräsentiert. Die zweite orientierte sich an der von Karl Marx gegründeten „Internationalen Arbeiter-Assoziation“ und deren Gedankengut. Der Frontmann dieser Gruppe war Andreas Scheu.
Im April 1874 wurde beim Arbeiter-Delegiertentag in Neudörfl ein Programm der Arbeiterpartei verabschiedet. Dieses wurde von der Regierung allerdings als gefährdend eingeschätzt. Die einzelnen Strömungen hatten sich auch nicht einigen können. Einige Vereine wurden danach verboten. Die Arbeiterbewegung verschwand für einige Zeit fast ganz von der Bildfläche.
1883 unternahm Viktor Adler eine Reise nach Deutschland, in die Schweiz und nach England. Eigentlich diente diese Fahrt der Vorbereitung auf eine Bewerbung als Gewerbeinspektor. Er traf sich bei dieser Gelegenheit aber u.a. auch mit Friedrich Engels, August Bebel und Wilhelm Liebknecht. Aus diesen Begegnungen resultierten lebenslange Freundschaften. Er konnte sich während dieser Reise ein realistisches Bild von der Lage der dortigen Arbeiterbewegung machen. Das brachte ihn dazu, sich intensiver mit dem Marxismus, sozialdemokratischen Ideen und Erfahrungen, sowie den Rechten und sozialen Existenzbedingungen der Arbeiter auseinanderzusetzen. Seine politische Tätigkeit brachte ihm im Zeitraum zwischen 1887 und 1900 mindestens 17 Anklagen vor Gericht und insgesamt neun Monate Arrest ein.
Viktor Adler galt als Intellektueller und wegen seiner bürgerlichen Herkunft in der Arbeiterbewegung anfangs als Außenseiter. Ihm gelang es allerdings die Richtungskämpfe der einzelnen Organisationen zu überwinden. Beim Hainfelder Parteitag Ende 1888 schaffte er es durch sein ausgleichendes Wirken „Radikale“ und „Gemäßigte“ zu einigen und die Sozialdemokratische Arbeiterpartei (SDAP) zu gründen. Er wurde zum ersten Vorsitzenden der neuen Partei gewählt. Ab 1901 gehörte er zunächst dem niederösterreichischen Landtag und von 1905 – 1918 dem Reichsrat an.
Viktor Adler lehnte Revolution und Gewalt ab und wollte mit einem gemäßigten Vorgehen für die Rechte der Arbeiter kämpfen. Sein größtes politisches Anliegen war das allgemeine Wahlrecht für Männer. Dieses erreichte er mit Hilfe geschickter Arrangements mit den Mächtigen. Es wurde 1906 verabschiedet. Daraufhin zog die Sozialdemokratische Arbeiterpartei als stärkste Partei in den Reichsrat ein. Adler, der sich selbst als „Hofrat der Nation“ bezeichnete, verstand es meisterhaft, einen Ausgleich zwischen den Flügeln der Partei zu schaffen.
Die Arbeiterzeitung
Mit dem Erbe seines Vaters gründete Viktor 1886 die Zeitschrift „Gleichheit“. In dieser veröffentlichte er eine Reihe von aufsehenerregenden Artikeln. Einer davon befasste sich mit den Missständen in der Wienerberger Ziegelfabrik. Franz Baron, Großvater von Amalie Pölzer und Ziegeleiaufseher, versteckte Viktor unter Milchkannen und schmuggelte ihn auf diese Weise in die Brennerei der Fabrik. Dort sammelte er als "Ziegel-Behm" verkleidet Material für seine Sozialreportage "Die Sklaven von Wien". Im Betrieb waren hauptsächlich Arbeiterinnen aus Böhmen und Mähren beschäftigt, die rücksichtlos ausgebeutet wurden. Arbeitstage von über 16 Stunden gehörten zur Normalität. Bezahlt wurde in Form von Blechmarken, die nur innerhalb der Siedlung bei bestimmten Kantinenwirten eingelöst werden konnten (Trucksystem). Die Wohnverhältnisse waren katastrophal. Die Menschen waren in engen Behausungen zusammengepfercht und litten unter hygienisch unerträglichen Zuständen. Die Kampagne Viktor Adlers brachte zunächst zumindest die Abschaffung des Trucksystems. Echte Verbesserungen bewirkte aber erst der Ziegelarbeiterstreik von 1895.
Nach dem Verbot der „Gleichheit“ gründete Viktor Adler 1889 die „Arbeiter-Zeitung“. Die erste Ausgabe erschien am 12.07.1889. Gründungs-personen waren laut Impressum Julius Popp und Rudolf Pokorny als Herausgeber, Ludwig Bretschneider als verantwortlicher Redakteur. Die Zeitung erschien zunächst zweimal im Monat, später wöchentlich. Ab 1895 wurde sie als Tageszeitung produziert. In dieses Blatt investierte Viktor einen Großteil seines Vermögens. Als seinen Nachfolger und Chefredakteur konnte Viktor Friedrich Austerlitz gewinnen. Am 31.10.1991 wurde die Zeitung eingestellt.
1. Mai-Feiern
Am 1. Mai 1890 fanden die ersten Kundgebungen zum 1. Mai in Österreich statt. Die Wiener Arbeiterschaft hielt im Prater ihre Maifeier ab. Angeblich versammelten sich mehr als 100.000 Teilnehmer. Viktor Adler konnte allerdings nicht teilnehmen, weil er zu dieser Zeit gerade im Wr. Landesgericht inhaftiert war. Bis 1918 fanden die sozialdemokratischen Maikundgebungen dann jährlich im Prater statt. Erst in der Ersten Republik wurden sie an die Wiener Ringstraße verlegt.
Der erste Weltkrieg und die Folgen
Viktor war ein Befürworter der Kriegspolitik. Er vertrat die Meinung, dass der Krieg nötig sei zur Verteidigung gegen Russland und um eine zaristische Fremdherrschaft zu verhindern.
Sein Sohn Friedrich war ein vehementer Gegner der Kriegsdiktatur. Aus Protest erschoss er am 21. Oktober 1916 den k.k. Ministerpräsidenten Karl Stürgkh, den er als Hauptverantwortlichen für die Fortsetzung des Krieges ansah. Friedrich wurde in einem aufsehenerregenden Prozess zum Tode verurteilt. Kaiser Karl begnadigte ihn allerdings zu lebenslangem Kerker. 1918 wurde Friedrich schließlich freigelassen.
1918 erfasste der so genannte "Jännerstreik" weite Teile der Monarchie. Über 700.000 Arbeiter streikten vor allem wegen der materiellen Not. Auch damals gab es wieder unterschiedliche Intentionen in der Partei. Die Linken strebten die Auflösung der Monarchie in selbständige Nationalstaaten und die Vereinigung der deutschen Gebiete mit dem Deutschen Reich an. Adler hingegen hielt am Programm einer Demokratisierung Altösterreichs und der Schaffung eines Nationalitätenbundesstaates fest. Wieder hatte Adlers Politik Erfolg. Er band die Radikalen ein und verhinderte dadurch gewaltsame Revolten. Er machte den Vertreter des linken Flügels, Otto Bauer, zu seinem Stellvertreter. Damit sicherte er Deutschösterreich den weitgehend gewaltlosen Übergang von der Monarchie zur demokratischen Verfassung der Ersten Republik. Sein Wunsch einer Angliederung an Deutschland resultierte vermutlich aus der Befürchtung, Deutschösterreich könne aufgrund seiner autoritären inneren Strukturen und Traditionen allein nicht imstande sein Demokratie zu praktizieren.
Staatsamt
Als am 30. Oktober 1918 die erste Regierung des neuen Staates unter Karl Renner gebildet wurde, machte man Viktor Adler zum Staatssekretär des Äußeren. In dieser Funktion traf er im Schloss Schönbrunn mit Kaiserin Zita und Kaiser Karl und zusammen, um über den Übergang von der alten zur neuen Ordnung zu verhandeln. Nachdem sein ursprünglicher Vorschlag eines demokratischen Nationalitätenbundesstaates mangels Interesses der anderen Nationalitäten Altösterreichs scheiterte, trat er für den Anschluss Deutschösterreichs an das Deutsche Reich ein.
Tod und letzte Ruhestätte
Viktor Adler war schwer herzkrank. Am 9. November 1918 hielt er im Staatsrat seine letzte Rede. Am 11. November 1918 verzichtete Kaiser Karl I. auf jeden Anteil an den Staatsgeschäften. Es wurde die Republik als neue Staatsform beschlossen. Am selben Tag starb Viktor Adler. Er sank mitten in der Arbeit zusammen und starb im Alter von 66 Jahren. Am Tag darauf fand die Proklamation der demokratischen Republik-Deutsch-Österreich statt. In der Reichsratssitzung wurde auch ein Nachruf auf Adler gehalten.
Am 15. November wurde Viktor Adlers Leichnam im Arbeiterwohnheim in der Laxenburgerstraße aufgebahrt. Tausende Menschen nahmen dort von ihm Abschied. Auf Wunsch Adlers wurde von jeglicher kirchlichen Trauerfeier Abstand genommen. 8 Posaunisten der Volksoper trugen den Trauermarsch aus der „Götterdämmerung“ vor. Nachdem die Gruppe „Schoos“ den schottischen „Trauerchor“ gesungen hatte, hielt der Präsident Dr. Dinghofer einen Nachruf auf Viktor Adler. Nach einigen Abschiedsworten des ungarischen Staatssektretärs Diner-Denes, hielt der Chefredakteur der Arbeiter-Zeitung Fritz Austerlitz die Trauerrede.
Nach weiteren Reden und der Trauermusik aus „Romeo und Julia“, setzte sich schließlich der Trauerzug in Bewegung. Die Bevölkerung begleitete den Galawagen, der von 4 Rappen gezogen wurde, bis zur Gudrunstraße. Dort bestieg die Trauerfamilie ihre Wagen und fuhr zum Zentralfriedhof, wo der Sarg im engsten Familienkreis beigesetzt wurde. Das Grab Viktor Adlers ist Teil einer ganzen Grabanlage und wurde ehrenhalber gewidmet. Es befindet sich in Gruppe 24/5/1, gleich bei Tor 3. Das Grabdenkmal schuf Hubert Gessner. Es wurde am 7.11.1926 enthüllt.
In diesem Grab fanden auch Viktors Sohn Friedrich und seine Tochter Maria ihre letzte Ruhestätte. In dieser Anlage wurden später auch Engelbert Pernerstorfer, Karl Seitz und Otto und Helene Bauer beigesetzt.
Anekdoten und Zitate
Als Lenin bei Ausbruch des 1. Weltkrieges von der österreichisch-ungarischen Polizei in Galizien festgenommen wurde, bat er Viktor Adler telegrafisch um Hilfe. Dieser ersuchte im Wiener Innenministerium um Lenins Freilassung. "Können Sie garantieren, dass dieser Lenin auch wirklich ein Gegner des Zaren ist" fragte der Minister. Adler antwortete: "Exzellenz, Lenin war bereits ein Feind des Zaren, als Eure Exzellenz noch dessen Freund waren. Er ist jetzt ein Feind des Zaren, da auch Eure Exzellenz sein Feind sind. Und er wird auch ein Feind des Zaren sein, wenn Eure Exzellenz vielleicht schon wieder sein Freund sein werden."
Ein bekanntes Zitat von Viktor Adler lautet:
"Vor die Wahl gestellt, ob man mit den Massen irrt oder sich von ihnen trennt, muss man mit den Massen den falschen Weg gehen, weil man nur so die Möglichkeit hat, sie wieder auf den richtigen Weg zu führen."
Zum Andenken
1919 wurde der „Viktor-Adler-Platz“ nach dem großen Sozialdemokraten benannt. 1938-1945 hieß er Horst-Wessel-Platz. 1945 wurde er wieder in Viktor-Adler-Platz umbenannt. Zahlreiche andere Plätze und Straßen in ganz Österreich wurden ebenfalls ihm zu Ehren mit seinem Namen versehen.
Die städtische Wohnhausanlage auf der Triester Straße 57-65 im 10. Bezirk, die 1923 nach Plänen von Engelbert Mang erbaut wurde, trägt auch seinen Namen.
In der Gumpendorfer Straße 54 (Blümelgasse 1), im 6. Bezirk erinnert am Wohnhaus Adlers, das er von 1905-1918 bewohnte, eine Gedenktafel an ihn.
Am Dr.-Karl-Renner-Ring im 1. Bezirk wurde 1928 das Denkmal der Republik eingeweiht. Auf einem Sockel stehen dort die Büsten von Jakob Reumann, Ferdinand Hanusch und Viktor Adler. Angefertigt wurde es von Anton Hanak. 1934 ließ Bundeskanzler Engelbert Dollfuß die Statuen mit Tüchern, die mit dem Kruckenkreuz verziert waren, verhüllen. Dieses Symbol war das Erkennungszeichen der regimetreuen vaterländischen Front. Das Denkmal wurde schließlich abgetragen und in einem Depot eingelagert. Dort überstand es unbeschadet die Zeit der Nationalsozialisten. 1948 wurde es anlässlich des 30. Jahrestages der Gründung der Republik wieder aufgebaut. 1961 versuchten unbekannte Extremisten das Denkmal in die Luft zu jagen. Zum Glück misslang das Attentat und es wurde nur die Rückseite des Denkmals beschädigt.
In der Kleingartenanlage Zwillingsee im 10. Bezirk, Fürstenhoferstraße 1 befindet sich am Haus des ehemaligen Arbeiterbetriebsrates der Wiener Ziegelwerke eine Büste von Viktor Adler.
Die „Viktor-Adler-Plakette“, ist die höchste Auszeichnung der Sozialdemokratischen Partei Österreichs (SPÖ). Mit ihr werden besonders verdienstvolle Mitglieder der Partei geehrt. Voraussetzung ist eine 25-jährige Aktivität bei der Partei, eine 40-jährige Mitgliedschaft, sowie die Vollendung des 60. Lebensjahres.
Bildquellen:
- Viktor Adler - Wikipedia
- Viktor und Emma - Staatsarchiv
- Emma Adler - "Das rote Wien"
- Marienbild von Emanuel Oberhauser - "Das rote Wien"
- Emma Adler - Staatsarchiv
- Gruppenbild v. Kongress der Sozialistischen Internationale im Sept 1910 in Kopenhagen - Rot bewegt
- Viktor Adler und Engelbert Pernerstorfer - Wikipedia
- Viktor Adler - ONB digital
- Arbeiter-Zeitung - "Arbeiter Zeitung" v. 12. Juli 1889, Seite 1 Anno ONB
- Wahlaufruf 1911 - ONB digital
- Aufbahrung - „Wiener Bilder“ v. 24.11.1918, Seite 4 – Anno ONB
- Leichenzug - „Österreichische Illustrierte Zeitung“ v. 24. November 1918, Seite 8 – Anno ONB
- Bilder Grabanlage -© Karin Kiradi
- Wohnhaus Viktor Adlers und Gedenktafel - © Karin Kiradi
- Denkmal der Republik - © Karin Kiradi
Quellen:
- Viktor Adler - Wikipedia
- Buch "Die Pölzers - eine sozialdemokratische Familien-Saga" von Fritz Keller
- Rot bewegt
- „Das interessante Blatt“ v. 21. 11. 1918, Seite 4 – Anno ONB
- „Wiener Bilder“ v. 24.11.1918, Seite 4 – Anno ONB
- rodovid
- Erster Mai – Wikipedia
- Viktor Adler - Das rote Wien
- Emma Adler - Das rote Wien
- Emma Adler - rot bewegt
- Viktor Adler - Geschichte Wiki Wien
- Viktor Adler - DHM
- Viktor Adler - Austria Forum
- Staatsarchiv
- Buch "Wiener Intrigen, Skandale und Geheimnisse" von Reinhardt Badegruber
- Buch "Das heitere Lexikon der Österreicher" von Georg Markus
- Buch "Sozialdemokratie in Österreich Von den Anfängen der Arbeiterbewegung zur modernen Sozialdemokratie" von Günther Sandner
- Geni
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Herbert Resetarits (Samstag, 07 Mai 2022 13:28)
Hallo
In der Waschhausgasse im 2ten Bezirk hängt auch eine Erinnerungstafel an Viktor Adler. Zumindest bis in den 70igern kann ich's sicher sagen, da ich im Nebenhaus gewohnt habe. Liebe Grüße Herbert Resetarits