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Josef (1911-1949) und Rosa (1933-1949) Eisemann

eine tödliche Artistendarbietung

Herkunft und Familie 

Josef Eisemann wurde am 22.12.1911 in Gajdobra bei Neusatz (Novi Sad) geboren. Seine Heimat war demnach die ungarisch-serbische Region „Batschka“, womit Josef Eisemann als "Donauschwabe" bezeichnet werden kann. Sein Vater übte den Beruf eines Schneiders aus. Er fiel im 1. Weltkrieg. Daraufhin nahm sich der Großvater seines Enkels an. Josef erlernte nach seinem Schulabschluss den Beruf seines Vaters und wurde Schneider.

 

Die Anfänge eines Zirkuskünstlers

Der Großvater war ein Seiltänzer aus der damals weit bekannten Artistenfamilie Strohschneider. Bald schon ging die Leidenschaft für den Seiltanz auf Josef über. Er trainierte mit eiserner Energie und absolvierte erste Auftritte. Ständig dachte er sich neue Attraktionen aus. In den 1930er-Jahren trat er in Belgrad und zahlreichen anderen europäischen Städten auf. Er avancierte bald zum gefragten Hochseilartisten. Dieser Erfolg machte sich auch finanziell bemerkbar. Es zeichnete sich sogar eine internationale Filmkarriere ab. Man engagierte ihn für einige Filme als Double von Harry Piel.

 

Krieg und Neubeginn

Der Erfolg von Josef Eisemann wurde durch den Zweiten Weltkrieg jäh unterbrochen. Josef diente im  jugoslawischen Heer. Als er 1941 in die Batschka zurückkehrte, wurde er gemeinsam mit tausenden seiner Landsleute der Heimat verwiesen. Seine Flucht führte ihn nach Wien. Hier war er vorerst als Zuschneider für ein Modehaus tätig. Dann zog man ihn zum Volkssturm ein. 1945 geriet er in französische Kriegsgefangenschaft. Zwei Jahre später kam er wieder nach Wien zurück, wo seine Familie auf ihn wartete. Seine Frau Magdalena wohnte mit den beiden Kindern Rosa (* 24.04.1933) und Peter (* ca. 1937) in der Himmelpfortgasse. Dort hatte sie eine Beschäftigung als Hausbesorgerin gefunden.

 

Angesichts der drückenden Not der Nachkriegsjahre beschloss Eisemann sich wieder als Artist zu betätigen. Er begann zu trainieren und machte Kraft- und Geschicklichkeitsübungen. Sein Trainingsplatz war das Dach ihres Wohnhauses. Bei all diesen Kunststücken hatte er allerdings kein Fangnetz. Da es weit und breit keinen Zirkus gab, war er ganz alleine auf sich gestellt. Er hatte die fixe Idee, den Donaukanal auf einem Seil zu überqueren. Nur einige kleine Hilfsmittel sollten ihm Sicherheit bieten. So waren in seinen Schuhen tiefe Rillen eingelassen, die ihm zusätzlichen Halt boten. Seine Balancierstange hatte an beiden Enden einen großen Haken. Im Fall eines Absturzes sollte ihm das eine Fixierung am Seil ermöglichen.

 

Mitte Mai 1949 begann Josef Eisemann mit den Vorbereitungsarbeiten für sein Projekt. Er suchte einen geeigneten Platz und entschied sich für eine Stelle in der Nähe der Urania. Es war gar nicht so leicht 2 halbwegs gegenüberliegende intakte Häuser zu finden, die für das Unterfangen geeignet waren. Auf weiten Teilen entlang des Donaukanals waren die meisten Häuser vom Krieg zerstört. Eisemann ließ zwischen dem DDSG-Gebäude am Beginn der Dampfschiffstraße (gibt es heute nicht mehr) und einem Wohnhaus am anderen Ufer des Donaukanals in der Ferdinandstraße 28 (heute Untere Donaustraße 31) ein 120 Meter langes Drahtseil spannen.  Dabei machte sich allerdings ein riesiges Handicap bemerkbar. Auf dem Seil war ein Höhenunterschied von 3 Metern zu überwinden. Eine Kommission des Wiener Magistrats überprüfte die Installation und erteilte die Erlaubnis zur Vorführung für die Dauer von einem Monat.

 

Bei den Proben gab es immer wieder kleine Zwischenfälle.  Als einmal eines der Spannseile riss, konnte sich Eisemann im letzten Moment noch vor einem Absturz retten.  

 

Der Drahtseilakt

Am 5. Juli 1949 führte er seinen Hochseilakt zum ersten Mal öffentlich vor. Bei der ersten Überquerung saß ein junger Mann auf seinen Schultern. Bei seinem nächsten Versuch trug er seine 16jährige Tochter Rosa auf den Schultern über das Seil.

Josef Eisemann bei seinem Drahtseilakt 1949

In den Nachkriegsjahren war das Bedürfnis der Menschen nach Ablenkung sehr groß. Der geringe Eintrittspreis von einem Schilling bot eine günstige Möglichkeit der Unterhaltung. Eine Kinokarte kostete damals im Vergleich dazu 4,50 Schilling. So folgte eine riesige Zuschauermenge der Einladung.

 

Nach dem erfolgreichen Auftakt verhinderten Niederschläge und Wind zahlreiche Auftritte. Deshalb konnte Eisemann seine Darbietungen nur an wenigen Tagen tatsächlich vorführen. Um die Spannung zu erhöhen, kündigte er laufend neue Kunststücke an. Dabei griff er alte Akrobatennummern seines Großvaters auf, wie z.B. "Spaziergang im Polkaschritt", "Abendessen am Seil", "Kopfstand am Fahrrad", und "Salto mortale". Eisemann ließ sich aber auch eigene neue Attraktionen einfallen. So wollte er z.B. ein kleines Feuerwerk vom Seil aus abschießen oder einen Gang mit Stelzen auf dem Seil durchführen. Als besondere Attraktion bot er an, einen Freiwilligen auf seinen Schultern über den Donaukanal zu tragen. Der Pressefotograf Walter Henisch hatte es sich in den Kopf gesetzt, möglichst spektakuläre Aufnahmen des Seiltänzers zu liefern. Für diese sensationelle Reportage wollte er von den Schultern des Akrobaten herab fotografieren.  Eisemann willigte rasch in den Plan ein. Henisch wog kaum 50 Kilo und die Aussicht auf eine enorme Publicity war zu verlockend. Im Inneren des Dachbodens absolvierten sie Probegänge. Doch im letzten Moment untersagte die Polizeibehörde das Vorhaben. Es schien zu gefährlich einen ungeübten Reporter einem derartigen Risiko auszusetzen.  Die Enttäuschung über das Verbot war ziemlich groß. Auch Walter Henisch' kleiner Sohn Peter war in diesen Tagen als Zuschauer mit dabei. Er schrieb viele Jahre später das Buch "Die kleine Figur meines Vaters".  Er erzählt darin über seinen Vater, der sich während der NS-Zeit als Propaganda- und Kriegsfotograf profiliert hatte. Unter anderem beschrieb er auch, wie er und sein Vater die  beeindruckenden Vorführungen von Eisemann erlebten.

 

Im Normalfall gab Eisemann 2 Vorstellungen pro Tag. Eine am Nachmittag und eine am Abend. Bei der Spätvorstellung wurde auch eine Lichterkette hoch über dem Drahtseil aktiviert. Von der Urania strahlten zusätzlich starke Scheinwerfer hinüber. Eine Musikkapelle und ein Sprecher begleiteten die Vorführungen. Eisemann war mit dem Erlös aus den Einnahmen durchaus zufrieden. Er plante bereits weitere Auftritte in Spanien, Brasilien und den USA. Er sah seine Attraktion in Wien als Sprungbrett zum Weltruhm.

 

Das Unglück

Sonntag, der 17. Juli 1949 war der letzte geplante Vorstellungstag. Es herrschten optimale Wetterbedingungen. Es gab herrliches Sommerwetter und es war völlig windstill. Ca. 2.000 Menschen waren gekommen um sich das

Josef Eisemann und sein Drahtseilakt 1949

Spektakel anzusehen. Eisemann wollte bei der Abendvorstellung als Höhepunkt wieder seine Tochter über das Seil tragen. Doch vorher vollbrachte er wie immer einige Solokunststücke auf dem Seil. Er trug dabei einen eleganten weißen Anzug.  Dann forderte er das Publikum auf, es möge sich ein Freiwilliger melden, der mit ihm den Kanal überqueren wolle. Wie vereinbart, stellte sich seine Tochter Rosa zur Verfügung. Sie setzte sich auf die Schultern ihres Vaters und unter den Klängen der Musikkapelle gingen die beiden bis zur Mitte des Seils. Dort hielt der Artist etwas inne, schien irritiert zu sein und versuchte den Sitz des Mädchens zu korrigieren. Die Zuschauer maßen dem keinerlei Bedeutung bei, da Eisemann schon öfter Schwierigkeiten vorgetäuscht hatte, um die Spannung zu erhöhen. Vorsichtig setzte er seinen Weg fort. Während sie sich über dem Wasser bewegten, setzte die Musik aus. Als sie wieder über festem Boden waren, begann sie wieder zu spielen. Als nur mehr wenige Schritte bis zum Ziel fehlten, geschah das Unglück. Sie verloren das Gleichgewicht. Eisemann entglitt die Balancestange und beide stürzten kopfüber in die Tiefe. Ein gellender Aufschrei ging durch die Menge.  Die Musik brach ab und die Scheinwerfer erloschen. Die beiden Körper waren auf dem Pflaster des Treppelwegs aufgeschlagen und blieben schwer verletzt in einer riesigen Blutlache liegen. Obwohl der Rettungsdienst schon nach wenigen Augenblicken zur Stelle war, erlagen Vater und Tochter noch auf der Fahrt ins Krankenhaus ihren Verletzungen.

 

Eisemanns Gattin und seine Mutter erlitten einen Nervenzusammenbruch. Sein jüngerer Sohn Peter war ebenfalls Augenzeuge des Unglücks. Er raste in seinem Schmerz auf das Dach des Hauses und wollte sich in die Tiefe stürzen. Er konnte nur mit Mühe davon abgehalten werden. „Ich will mit dem Vater sterben“, schrie er. 

Spekulationen

In den folgenden Tagen berichteten die Zeitungen detailliert über die näheren Umstände der Tragödie. Die Fotos, die der Wiener Pressefotograf Leo Ernst gemacht hatte, gingen nun um die Welt. Ernst hatte im Laufe des Monats immer wieder vom Dach eines benachbarten Hauses aus Bilder mit einem Teleobjektiv geschossen. Es wurden unzählige Spekulationen über die genaue Absturzursache angestellt. Einige machten Eisemann selbst verantwortlich, da er am Abend vor der Tragödie bis spät in die Nacht bei einer Feier gewesen war. Andere meinten der Grund läge darin, dass Rosa vor der Vorstellung beim Aussteigen aus einem Boot ins Wasser gefallen war. Obwohl sie völlig durchnässt war, bestand sie darauf die Hochseilnummer zu machen. Man diskutierte auch, ob die Polizei die Veranstaltung nicht von vornherein hätte verbieten sollen. Die Behörde ließ nur wissen, dass sämtliche Auflagen zur Gänze erfüllt worden waren. Eisemann sei eben "vom Drahtseil in den Tod getanzt".

 

Anteilnahme, Beisetzung und Grab

Begräbnis von Josef und Rosa Eisemann am 23.7.1949

Das Schicksal der Hinterbliebenen rührte die Herzen der Wiener zutiefst. Spontan wurden Spenden gesammelt. Die Kunststeinfirma Poß stellte kostenlos einen Grabstein zur Verfügung. Die Gemeinde Wien übernahm die Kosten für das Begräbnis. Dieses fand am Samstag, den 23. Juli. statt.

 

Die Abschiedszeremonie geriet zu einer Massendemonstration. Zehntausende kamen am Nachmittag zum Zentralfriedhof. Die beiden Särge wurden in der Friedhofskirche zum Hl. Borromäus in einem Meer von Lichtern und Blumen aufgebahrt. Dicht gedrängt standen die Menschen Spalier auf dem langen Weg von der Kirche zur Grabstätte. Die Familie und eine Delegation der Artistengewerkschaft führten den Trauerzug an. Landsleute aus der Batschka und unzählige Wiener folgten dem Trauerkondukt.

Grab von Josef und Rosa Eisemann am Wiener Zentralfriedhof

Auch am Unglücksort selbst fand am Abend eine ergreifende Trauerfeier statt. Das Wiener Volkssymphonieorchester spielte Beethoven: die Ouvertüre zu "Egmont" und den Trauermarsch aus der "Eroika". An der Absturzstelle wurde ein Kranz niedergelegt und eine Gedenkrede gehalten. Das nach wie vor über den Kanal gespannte Seil wurde ein letztes Mal beleuchtet. Auch an den nächsten Tagen kamen unzählige Menschen an die Unglücksstelle. Freunde Eisemanns ließen ein Holzkreuz errichten. Sie legten Blumen nieder und stellten eine Spendenbox auf. Das Kreuz wurde im Juni 1951 von einem Hochwasser weggeschwemmt. Danach errichtete man an dieser Stelle eine Marmortafel zum Gedenken. Doch auch sie hat die Zeit nicht überdauert.

 

Das Grab von Rosa und Josef Eisemann befindet sich am Zentralfriedhof in der Gruppe 17B/2/37, nahe beim Tor 2. Es wird von der Gemeinde Wien als „historisches Grab“ geführt. Der dicke Balken am Grabstein könnte das Drahtseil symbolisieren. Allerdings ist die Erklärung dafür viel banaler: Bei der Widmung als historisches Grab wurde die Inschrift "..welche in Ausübung ihres schweren Berufes als Artisten am 17. Juli 1949 tödlich verunglückten." mit der grauen Tafel überdeckt.

Die ebenfalls hier bestattete Magdalena Wagner (1891-1964) war die Schwiegermutter von Josef Eisemann.

 

In weiterer Folge

Peter Patzak war als Kind ebenfalls Augenzeuge dieses Unglücks. Er plante später als Regisseur, über das Ereignis einen Film zu drehen. Ob er das dann tatsächlich realisiert hat, ist fraglich.

 

2016 wurde in Wien an verschiedenen Spielorten das Theaterstück „Eisemann – der Tänzer, der vom Himmel fiel“ aufgeführt. Eingebettet in eine fiktive Handlung, hat darin Bernd Watzka das Unglück von damals aufgearbeitet.

 

Abschreckende Wirkung hatte die Katastrophe aber scheinbar nicht. Schon wenige Tage nach dem Unglück balancierte ein ehemaliger Kollege Eisemanns ebenfalls ohne Sicherheitsnetz über den Freiheitsplatz in Graz. Und auch heute noch setzen viele Künstler und Sportler immer wieder ihr Leben aufs Spiel.


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Kommentare: 1
  • #1

    Gabi Steindl (Montag, 15 November 2021 08:42)

    Diesmal ganz was anderes, aber auch wieder sehr interessant!
    Danke