ein Wiener Original
Schwierige Jugend
Ludwig Weinberger kam am 2. Juli 1914 in Wien-Ottakring zur Welt. Er war das achte Kind von Anna Marie Benes. Sie stammte aus Böhmen und war dem Taschner und Sattler Ludwig Weinberger Senior verheiratet. Weil der Bub nicht von ihm stammte, ging die Ehe in die Brüche. „Wickerl“ wuchs in einer harten und entbehrungsreichen Kindheit auf. Da die Mutter die zahlreichen Kinder nicht mehr ernähren konnte, gab sie Wickerl schon im Alter von vier Jahren in ein Kinderheim. Später wechselte er zwischen Heimen, Pflegeeltern und seiner Familie hin und her. Bereits im Volksschulalter musste er mit Betteln und dem Austragen von Brot und Zeitungen Geld verdienen. Außerdem verdiente er sich als Verkäufer von Fliegenwedeln ein kleines Taschengeld. Als Zehnjähriger arbeitete er im Ausflugsrestaurant von Wilhelm Türk, dem Weltmeister im Gewichtheben, als "Brotschani“. Dabei pries er Gebäck und Brezen an den Tischen zum Kauf an. Mit großen Schwierigkeiten absolvierte er die Volksschule und eine Klasse Hauptschule. Kurz war er dann Knecht im Waldviertel. Eine begonnene Goldschmiedelehre brach er genauso ab wie eine Schneiderlehre. Die Lehre zum Buchbinder schaffte er im zweiten Anlauf. Danach war er arbeitslos, bildete sich aber mit Hilfe von Volkshochschulkursen weiter.
Im Zweiten Weltkrieg wurde er zum Kriegsdienst eingezogen und verwundet. An dieser Knieverletzung laborierte er Zeit seines Lebens. Nach Kriegsende holte Weinberger die Handelsschule nach und wurde Vertreter für Büro- und Reklameartikel. Ab 1944 wohnte Weinberger in der Wehrgasse in Wien-Margareten auf nur neun Quadratmetern. Anfang der 1950er-Jahre erwarb er einen Gewerbeschein als selbstständiger Handlungsreisender für Werbemittel, Plastikwaren und Stempel. Allmählich spezialisierte er sich auf die Arbeit als Schildermaler. Er fertigte von Hand individuelle Reklame- und Hinweistafeln für Geschäfte an.
FKK-Anhänger
Weinberger war seit jeher ein Freund des Nacktbadens in der Lobau. Ein zentraler Ort der FKK-Anhänger war die Hirscheninsel im Überschwemmungsgebiet der Donau, die teilweise von FKK-Vereinen gepachtet war. 1970 wurde mit den Aushubarbeiten für das sogenannte Entlastungsgerinne, die spätere Neue Donau, begonnen. Dieses Projekt sollte einen dauerhaften Schutz vor Hochwasser bieten. Mit dem ausgehobenen Erdreich wurde die Donauinsel, eine über 21 km lange künstliche Insel zwischen Donau und Neuer Donau, aufgeschüttet. Diese Bautätigkeit bedeutete das Ende für das Nacktbaderefugium Hirscheninsel. Zusammen mit anderen FKK-Anhängern nahm Weinberger dies jedoch nicht einfach so hin. Er sammelte Unterschriften für die Schaffung eines Nacktbadegeländes an den Ufern der Neuen Donau, sein so genanntes "Paradiso". Die Aktion hatte Erfolg. Weinberger konnte einige 10.000 Unterschriften sammeln und wurde damit bei der Stadt Wien vorstellig. Immer mehr Personen unterstützten seine Forderungen. Im Rathaus konnte man sich der Initiative nicht mehr entziehen und band Weinberger zunehmend auch in die Planung und die Konzepte für die Gestaltung der Donauinsel ein. Von seinen Anhängern und der Presse wurde Weinberger als „König der Lobau“ tituliert.
Aus den Anfangsbuchstaben seines Mottos: "Wasser, Luft, Licht und Sonne" bildete er sein Pseudonym "WALULISO" unter dem er dann in der Öffentlichkeit auftrat. Den Namen "Waluliso" ließ er sich patentieren und 1986 änderte er seinen Nachnamen sogar amtlich auf "Waluliso".
Friedensapostel
In der Zeit nach seiner Pensionierung trat er vor allem als selbst ernannter Friedensapostel in der Stadt auf. In seiner eigenwilligen Kleidung fiel er überall auf. Er hüllte sich in eine weiße Toga, setzte sich einen Olivenzweigkranz auf den Kopf, hielt einen Hirtenstab und einen Apfel in der Hand und wanderte durch die Wiener Innenstadt. Ich kann mich noch gut an ihn erinnern und habe in den 1980er Jahren sogar einmal einen Apfel von ihm geschenkt bekommen. Waluliso war ein Wiener Original, das man bei jedem Wetter und zu jeder Jahreszeit in der Stadt antraf. "Friiiiede" war seine Grußformel. Er demonstrierte für die Abrüstung und den Frieden und wetterte gegen die Diktatur des Konsums. Ich glaube jeder Wiener kannte ihn damals. Bei den Touristen war er ein beliebtes Fotomotiv. Viele belächelten ihn allerdings auch oder hielten ihn für einen Spinner. Dabei war er als ökologisch denkender Mensch seiner Zeit damals weit voraus.
Wie mir berichtet wurde, mischte sich Waluliso auch bei div. Veranstaltungen großer Unternehmen unter die Gäste und begann einfach zu "predigen". Meist ließ man ihn einfach gewähren. So geschehen z.B. in der Creditanstalt und bei einer Steyr-Hauptversammlung.
Seine Friedensbotschaften wollte Waluliso jedoch nicht nur den Wienern überbringen, sondern auch den ganz großen Entscheidungsträgern in der Endphase des Kalten Kriegs. Bei Staatsbesuchen von Regierungschefs in Österreich stand er meist in der vorderster Reihe und versuche sich Gehör zu verschaffen.
Später begab er sich auch auf Reisen. Die Freundschaft zu Helmut Zilk bescherte Waluliso sogar Auslandsauftritte. Er trat vor dem Weißen Haus in Washington, auf dem Rotem Platz in Moskau und vor der Berliner Mauer auf. Er schüttelte Yassir Arafat und Eduard Schewardnadse die Hände, genauso wie auch Prinz Charles und Lady Diana.
1985 reiste er zum Gipfeltreffen Reagan-Gorbatschow in Genf. 1986 war er auch bei deren Begegnung in Reykjavík anwesend. Dort kam es sogar zu einem Shakehands mit Raissa Gorbatschowa. Diese Begebenheit fand auch literarisch in Michael Köhlmeiers Roman "Von Montag bis Freitag" ihren Niederschlag.
Zur 750-Jahr-Feier in Berlin wollte Waluliso im Sommer 1987 ebenfalls anreisen. Mit dabei hatte er ein Empfehlungsschreiben von Helmut Zilk, in dem es u. a. hieß: „Er kennt keine parteipolitischen oder nationalen Präferenzen und ist durch sein Auftreten vor allem in der Wiener Innenstadt als gutmütiger, für Frieden und Freundschaft eintretender Wiener Bürger bekannt. Seine Kleidung und sein äußeres Erscheinungsbild sind als Zeichen der Originalität zu werten und nicht als Provokation zu verstehen.“ Die DDR-Grenzer sahen dies allerdings anders und ließen ihn nicht passieren.
Als der sowjetische Außenminister Edward Schewardnadse 1987 zu Gast in Wien war, passierte folgendes: Während der Wagenkonvoi der Ehrengäste aus dem Bundeskanzleramt Richtung Ballhausplatz fuhr, entdeckte Schewardnadse den in eine weiße Toga gekleideten Waluliso auf der Straße. Zum Entsetzen der Sicherheitsleute ließ Schewardnadse den Wagenkonvoi stoppen und stieg aus. Er ging auf Waluliso zu und schüttelte ihm lange die Hand. Daraufhin wurde Waluliso von der Österreichisch-Sowjetischen Gesellschaft nach Moskau eingeladen.
Im Dezember 1987 flog Waluliso dann anlässlich der Unterzeichnung des Abrüstungsvertrags über Kurz- und Mittelstreckenraketen nach Washington.
Waluliso auf Schallplatte
Walulisos Botschaft wurde auch auf Platte festgehalten: 1982 nahm Waluliso gemeinsam mit der Band "Blümchen Blau" (Neue Deutsche Welle) die Single "Wir bauen ein Haus" auf. Der größte Hit von "Blümchen Blau" war 1981 "Flieger".
Die Botschaft von Walulisos Sprechgesang war Programm: "Wir Alten sollen nicht immer wieder schimpfen und spotten über unsere Jugend" und "Es ist Zeit, dass man aus Heldenplätzen Friedensplätze macht".
Letzte Jahre
Als Waluliso Anfang der 1990er-Jahre zunehmend mit gesundheitlichen Problemen zu kämpfen hatte, wurde es allmählich still um ihn. Bei einem seiner letzten Auftritte verteilte er auf der Kärntner Straße kleine Geldbeträge als Zeichen wider den Materialismus. Dazu predigte er: "Charakter zählt und nicht Geld. Politiker sind Spekulanten". Nur mehr selten verließ er seine winzige Substandardwohnung in der Wehrgasse im 5. Bezirk. Ein komplizierter Knochenbruch im Herbst 1995 stand am Beginn eines monatelangen Aufenthaltes im Krankenhaus, aus dem er in ein Pensionistenheim auf der Schmelz entlassen wurde.
Das Grab
Am 21. Juli 1996 verstarb Waluliso. Zwei Wochen später wurde er auf dem Zentralfriedhof beigesetzt. Eigentlich wollte er ursprünglich, dass seine Asche in der ganzen Welt verstreut wird. Er kaufte sich dann allerdings am Zentralfriedhof ein Grab. Er entwarf auch den Grabstein, der aus Sandstein gefertigt wurde, selbst. Äpfel, Lorbeerblätter, ein Telefonhörer und eine Maske sind über seinem selbst gewählten Namen "Waluliso" zu sehen.
Sein Grab wurde von der Gemeinde Wien ehrenhalber gewidmet. Es befindet sich in der Gruppe 30 E/Reihe 1/Nr. 27. Das ist nahe der Musiker-Ehrengräber und vom Tor 2 aus gut zu erreichen.
Die Waluliso-Brücke
Am 7. Juni 1998 wurde zu Ehren von Waluliso die Waluliso-Brücke eröffnet. Es ist dies eine Fuß- und Radbrücke über die Neue Donau in der Nähe des Kraftwerks Freudenau. Der Bereich des FKK-Geländes auf der Donauinsel (Hirscheninsel) wurde durch sie mit dem Hubertusdamm am nordseitigen Ufer verbunden. Damit entsprach man einem langjährigen Wunsch Walulisos.
1998 wurde dem Wiener Original sogar ein kleines Museum auf der Donauinsel gewidmet. Diese Erinnerungsstätte befand sich in drei Auslagenfenstern des Sportgeschäfts "Schuh Ski". Zu sehen waren Dokumente und kleine Objekte, die “Waluliso” während seiner Laufbahn gesammelt hatte. Der damalige Bürgermeister Helmut Zilk würdigte Waluliso bei der Eröffnung der Ausstellung mit den Worten: "Er war ein Botschafter des Guten und Schönen, aber natürlich war er verrückt. Nur ein Verrückter kann so leben. Waluliso war eine Bereicherung für Wien: Eine Stadt, die sich nicht todernst nimmt, braucht solche Originale." Die Waluliso-Gedenkstätte bestand leider nicht allzu lange. Sie fiel einem Brand zum Opfer.
==> Hinweis: Über diesen Link hier ist ein weiterer interessanter Beitrag über Waluliso in der TV-Thek abrufbar.
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Herbert Resetarits (Mittwoch, 28 Juli 2021 14:07)
Eine wunderschöne Erinnerung an Jemanden der den Weltfrieden im Herzen trug. Hatte das Glück viele Gespräche mit ihn führen zu können. Ein echtes Wiener Original. Es könnte ruhig mehr davon geben.
Lieber Gruß Herbert Resetarits
Kerstin (Mittwoch, 28 Juli 2021 22:53)
Wieder einmal ein wirklich interessanter und gut recherchierter Artikel.
Danke Karin!
Liebe Grüße Kerstin