Wo kommen bloß diese Namen her?
Auf meinen unzähligen Spaziergängen durch den Friedhof habe ich die unterschiedlichsten Namen auf den Grabsteinen gelesen. Einige davon kommen sehr häufig vor, andere sind nur selten anzutreffen. Manche sind sehr ungewöhnlich. Und einige muten fast schon skurril an. Ich fragte mich immer wieder wie diese Menschen wohl zu ihren Namen gekommen sind. Meine Neugierde ließ mich in der Geschichte der Namensgebung stöbern. Es gibt eine eigene Wissenschaft, die Onomastik, die sich mit der Namensforschung beschäftigt. Ein breit gefächertes Feld, bisschen kompliziert, aber auch sehr spannend. Meine Erkenntnisse habe ich hier kurz zusammengefasst.
Vom Rufnamen über den Beinamen zum Familiennamen
Wir nehmen es heute als selbstverständlich, dass jede Person einen Vornamen und einen Familiennamen trägt. Das war aber nicht immer so. Seit der Ausbildung von Sprache hat sich die Namensgebung mehrfach verändert. Zu Beginn war bei allen Völkern der Rufname, der heute unserem Vornamen entspricht, die einzige Bezeichnung einer Person. Man spricht von "Einnamigkeit". Das reichte in den übersichtlichen Dörfern völlig aus. Als Siedlungen immer größere Ausmaße annahmen, kam man mit dem Rufnamen alleine nicht mehr zurecht. Um z.B. zwei 2 Hermanns unterscheiden zu können, ging man zur "Zweinamigkeit" über. Die erste Form davon war es dem Rufnamen des Betroffenen den Rufnamen seines Vaters oder seiner Mutter anzuhängen.
- Peter Wolframs Sohn (Peter, der Sohn von Wolfram) - später wurde daraus Peter Wolfram
- Markus Jans Sohn - entwickelte sich zu Markus Janson oder Markus Jansen
Ab dem 12. Jahrhundert verwendete man Beinamen, die helfen sollten ein Individuum besser identifizieren zu können. Es gab verschieden Formen von Beinamen:
- die Verwendung von Ortsbezeichnungen (z.B. Herkunftsland) war bei der Beschreibung einer Person hilfreich:
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- Karl Hamburger (der aus Hamburg stammte)
- Hubert Bayer (der aus Bayern kam)
- die Beschreibung des Wohnsitzes oder eines Landbesitzes wurden auch in Beinamen verpackt:
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- Herbert Lindacker (dem der Acker mit der Linde gehört)
- Gerhard Amendt (der am Ende des Dorfes wohnt)
- körperliche oder charakterliche Besonderheiten der Person wurden auch als Beinamen verwendet:
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- Franz Taugenicht
- Maria Klein (die Kleine)
- Adolf Rot (der mit den roten Haaren)
- Herbert Böse (der mit dem bösen Blick oder Ähnliches)
- Berufe oder Amtsbezeichnungen kamen ebenfalls als Beinamen zum Einsatz:
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- Siegfried Weber
- Friedrich Bauer
- Bernhard Maierhofer oder Franz Maier (der den Maier (= großes Anwesen von Großgrundbesitzern oder Adeligen) für seinen Herrn führte)
- Hofmann (hat dieselbe Bedeutung wie Maier)
- Felix Bischof (der Bruder vom Bischof)
- Hans Lehrer
- Magdalena Müllnerin (die Frau vom Müller)
Wechselte jemand seinen Beruf oder seinen Wohnort, bekam er einen neuen passenden Beinamen. Diese Namen wurden auch nie in der Familie weitergegeben. Der Sohn von "Johann der Lange" erhielt einen eigenen, ihn charakterisierenden Namen.
Die Notwendigkeit eines Familiennamen
Im 9. Jhdt. wurde erstmals in Venedig ein Beinamen vererbt. Der Grund war sicherlich die Notwendigkeit zur eindeutigen Identifizierung über Generationen hinweg, z.B. bei Erbangelegenheiten oder zur Sicherung von Eigentumsrechten. Der Familienname war geschaffen. Er entwickelte sich aus dem Beinamen und wurde über Generationen weitergegeben. Im 15. Jhdt. war die Verwendung eines Familiennamen bereits weit verbreitet. Besonders in den Städten und im Adel setzte sich die Verwendung des Familiennamen rasch durch. Am Land hingegen kam man noch länger ohne Familiennamen aus. Dort fand er erst Ende des 17. Jhdt. Einzug. Im 18. Jhdt. wurden im deutschsprachigen Raum Gesetze erlassen, die einen Familiennamen vorschrieben. Eine ev. gewünschte Namensänderung wurde rechtlich geregelt, um die bis dahin ausgeübte Willkür einzuschränken. Der Staat hatte aus unterschiedlichen Gründen Interesse an der sicheren Identifizierung einer Person. Es ging z.B. um Steuern und Abgaben und um die Erfassung der zu rekrutierenden Männer für den Wehrdienst. Auch Straftäter konnten sich dann nicht mehr durch Namensänderung dem Gesetz entziehen.
Wie Juden im 18. Jahrhundert zu deutschen Namen kamen
Im 18. Jahrhundert waren die Juden eine "Randgruppe" die außerhalb der Ständegesellschaft lebten. Sie verwendeten meist immer noch nur einen Rufnamen oder bestenfalls den Rufnamen mit dem Zusatz des Namens des Vaters, z.B. "Jakob ben Nathan" = Jakob, Sohn des Nathan. Ihr Rufname war fast immer hebräischer Herkunft. Besonders privilegierte Juden hatte sich allerdings auch schon im 17. Jhdt. feste Familiennamen zugelegt. Diese Namen wiesen meist auf Orte hin zu denen die Betroffenen einen engen Bezug hatten, wie z.B. Oppenheimer, Wertheimer, Frankfurter, Hamburger.
In der Zeit der Aufklärung wollte man die Juden emanzipieren. In Österreich sollte der religiösen Duldung von 1782 eine rechtliche Gleichstellung folgen. Ziel war es, Maßnahmen zu setzen, die sicherstellen sollten, dass man Juden nicht mehr von Christen unterscheiden konnte. 1787 verfügte Kaiser Josef II ein weitreichendes Patent. Damit zwang man ab 1.1.1788 alle Juden zum Tragen eines unveränderbaren Vor- und Familiennamen. Dazu mussten sie sich aus einer vorgegebenen Liste einen Vornamen wählen. Der Familienname konnte frei gewählt werden, musste allerdings deutsch sein. Die Familiennamen der Juden sind daher nicht das Produkt eines langen sozialen und sprachlichen Entwicklungsprozesses, sondern sprachgeschichtlich viel jünger als die meisten deutschen Familiennamen.
Häufig griffen Juden zu Bezeichnungen für schöne Dinge, wie z.B. Rosenbaum, Grünbaum, Perlmutter, Rubin, Schön. Jeder Jude musste seinen angenommen Namen auf einem vom Kreis- oder Oberrabbiner unterzeichneten Formular dem zuständigen Magistrat melden. Da es in Wien keinen solchen Rabbiner gab, wurden die beiden jüdischen Familien Wertheimer und Leidesdorfer dazu ermächtigt. Es gab aber auch eine Liste von tolerierten jüdischen Familien, deren Namen bestehen bleiben durften (z.B. Samson Löw oder Israel Wolf). Alle in jüdischer Sprache bisher verwendeten Benennungen waren fortan verboten. Auch die Geburts- und Beschneidungsbücher mussten ab dieser Zeit in deutscher Sprache geführt werden.
Westgalizien kam erst 1795 zu Österreich. Hier wurde das Namenspatent in leicht abgewandelter Form durchgeführt. So konnten die Juden ihre Namen nicht frei wählen, sondern diese wurden von einer Kommission bestimmt. Damit war der Willkür Tür und Tor geöffnet. Offensichtlich bestand für gut situierte Juden die Möglichkeit sich für viel Geld einen "guten Namen" einzukaufen, während "arme Schlucker" auch mit lächerlichen Namen leben mussten, wie z.B. "Wasgehtsdichan", "Letztergroschen", "Powischer", "Rindskopf" oder "Klohocker".
Nach und nach führten dann alle Staaten Europas ähnliche Regelungen ein. So wurden im Kaiserreich Frankreich alle dortigen Juden 1808 zur Annahme von festen Nachnamen verpflichtet . In der Regel konnten die Juden dort ihre neuen Namen aber komplett frei wählen. Viele behielten daher ihre jüdischen Namen.
Die Juden waren bei der Namensfindung aber auch sehr erfinderisch. Sie versteckten in ihrem neuen Namen oft eine jüdische Bedeutung. Einige Beispiele dafür sind:
- Baum - steht für Abraham als Stammvater
- Mandel, Mendel - hat die Bedeutung Menahem
- Moos - damit ist Moses gemeint
- Hirsch - bedeutet Naftali
- Roth - symbolisiert den Stamm Ruben
- Silber.... und Gold..... stehen für die Erzengel Michael und Gabriel
- Seliger - wurde verwendet für Baruch (=der Gesegnete)
- Kahn, Kohn, Kanal - weist auf Cohen hin (= levitischer Priester)
- Oppermann - meint eigentlich Opfermann und beschreibt einen Leviten oder Cohen
Einschränkungen der Namensänderung
Obwohl man die Familiennamen als unveränderbar festschrieb, gab es einen Ausweg. Konvertierte Juden konnten bei der Taufe ihren Namen neu festsetzen. Um diese Möglichkeit kontrollierbar zu machen, erließ man 1826 in Österreich ergänzend zum Kaiserpatent ein Hofkanzleidekret. Dieses besagte, dass Namensänderungen nach strengen Kriterien der Genehmigung des Kaisers oder seines Innenministers bedurften. Dies galt auch für Übertritte vom Judentum zum Christentum oder bei Adelsverleihungen. Damit bürgerten sich Schritt für Schritt in der christlichen Namenswelt auch viele jüdische Namen ein.
Judenfeindliche Namensgesetze der Nationalsozialisten
1938 ging die Gesetzgebung der Nationalsozialisten in eine andere Richtung. Den Juden wurde unterstellt, durch ihre deutschen Namen ihre jüdische Herkunft verschleiern zu wollen. Um dies zu unterbinden, wurden Juden, deren Namen nicht eindeutig jüdisch waren, per Verordnung zur Führung eines zusätzlichen Vornamen verpflichtet. Männer mussten den Namen Israel und Frauen den Namen Sara annehmen.
Den menschenverachtendsten Akt setzte dieses Regime in den Konzentrationslagern, indem es die Juden gänzlich ihrer Namen beraubte und ihnen statt dessen eine Nummer aufdrückte.
Nicht jeder Name gibt seine Herkunft preis
Abschließend merke ich noch an, dass sich natürlich nicht alle heutigen Familiennamen so leicht auf deren Ursprungsbedeutungen zurückführen lassen wie in den angeführten Beispielen. Viele der Namen sind durch die Weiterentwicklung der Sprache, lautliche Veränderungen, durch Vokal- und Konsonantenverschiebungen, Schreibfehler etc. nur schwer zu entziffern. Noch dazu kam es oft zu ungewollten Namensveränderungen, da Beamte den Namen so niederschrieben wie sie ihn verstanden hatten. Eine fixe Schreibweise gab es nicht. Aus meiner eigenen Familiengeschichte weiß ich, dass meine Ahnen den Namen "Schmied" im Laufe der Zeit in den unterschiedlichsten Schreibweisen trugen (Schmidt, Schmid, Schmit, Schmitt, Smidt).
Einige Beispiele für Namen hinter denen unvermutete Bedeutungen stecken:
- Ein "Beckenbauer" war früher ein Landwirt, der im Dorf auch das Brot backte.
- "König" und "Kaiser" hatten keine blaublütigen Ahnen, sondern galten wahrscheinlich als hochnäsig .
- Der Name "Schiller" bedeutet »der Schielende«
- "Huber" oder "Hübner" war der Inhaber oder Pächter einer Hube (althochdeutsch huobe = 30 Morgen)
- "Hufner" oder "Hüfner" ist identisch mit Huber , das Flächenmaß hatte sich zu Hufe entwickelt
Die Wirkung von Namen
Psychologen machten zur Wirkung von Namen ein Experiment. Die Probanden sollten virtuelles Spielgeld an fiktive Mitspieler verteilen. Sie kannten von denen nur den Nachnamen. Das Ergebnis: Personen mit einem leicht auszusprechenden Namen erhielten mehr Geld als jene Spieler mit einem schwierig zu buchstabierenden Familiennamen. Die Forscher führen das auf den "Aussprache-Effekt" zurück. Der besagt, dass man Informationen die man leichter verarbeiten kann auch mehr mag. Dabei spielt es keine Rolle ob der Name länger (Teichmeister) oder kürzer (Bauer) ist. Klingt er einfach, findet man ihn gut.
Tatsächlich wirkt dieser Effekt in sämtlichen Bereichen unseres Lebens. Menschen mit "leichteren" Nachnamen bekommen laut einer anderen Studie tendenziell bessere Jobs. Untersuchungen der Cambridge University in England und der Hochschule HEC Paris fanden heraus, dass Nachnamen wie "Kaiser", "König", "Fürst", "Edelmann" etc. noch mehr auslösen. Weil sie nobel und wertvoll klingen, wird ein positives Bild auf den Besitzer des Namens übertragen. Das wiederum führt zu höheren Chancen bei Bewerbungen und bringt die Träger solcher Namen schneller und höher die Karriereleiter hinauf.
Bildquellen: alle Bilder stammen von Karin Kiradi
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Josef Ölzant (Donnerstag, 03 Juni 2021 19:17)
Sehr interessanter Beitrag! Habe meinen Namen leider noch nicht analysiert! Lg Josef
Sylvia Hufnagel (Donnerstag, 03 Juni 2021 20:00)
Es ist wirklich spannend, was ein Name eigentlich aussagt - oder aussagen könnte. Voll spannend, sich einmal darüber Gedanken zu machen. Danke.
Günter Biedermann (Donnerstag, 03 Juni 2021 21:36)
Eine sehr gute/interessante Dokumentation über die Entstehung unserer Namen.
Danke!
Herbert Resetarits (Freitag, 04 Juni 2021 14:07)
ich finde diesen Beitrag sehr interessant. Sollte auch mal über meinen Familiennamen nachforschen. Ich weis nur von meinen Vater das meine Familie eine von 10 Familien waren die im heutigen Burgenland die Ortschaft Stinatz gründeten. Obs stimmt weiß ich nicht. Nur bevor der Name Resetarits in Österreich bekannt wurde musste ich bei Reservierungen den Namen buchstabieren, danach nicht mehr. Vielen Dank für die Infos. ich freue mich schon auf die nächsten Beiträge. Mit freundlichen Gruß Herbert Resetarits
Gabi Steindl (Sonntag, 06 Juni 2021 19:05)
Mein Favorit ist eindeutig „Kuttelwascher“.
Danke Karin, das ist ein toller Beitrag.
Vielleicht noch ein kurzer Nachtrag: der Vater von Tarzan hieß Elvis. �Grabstätte schon selbst gesehen.
Dirk Oestreich (Freitag, 12 Januar 2024 22:01)
Wunderbar interessanter Beitrag, auf den ich zufällig bei der Suche nach dem Ursprung der typisch jüdischen Nachnamen gestossen bin! Vielen Dank für die Mühe!